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Ryūkyūs Erbe: Okinawa-Reise in die Vergangenheit

Sina Arauner
Sina Arauner

Okinawa gilt als subtropisches Inselparadies. Die mitunter turbulente Vergangenheit Japans südlichster Präfektur wird dabei oft übersehen. Bei meinem Besuch vor Ort offenbarte sich mir die Geschichte Okinawas mit ihren religiösen Stätten und historischen Denkmälern.

Die „Flamme des Friedens“ im Okinawaer Friedenspark gedenkt der Schlacht von Okinawa und den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki. Der Brunnen symbolisiert den Pazifik.
Die „Flamme des Friedens“ im Okinawaer Friedenspark gedenkt der Schlacht von Okinawa und den Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki. Der Brunnen symbolisiert den Pazifik.

Mein erster Besuch auf Okinawa war ein sommerlich entspannter Strandurlaub auf der kleinen Insel Zamamijima. Abgesehen von einer spontanen Sonnenallergie und einem vorbeiziehenden Taifun, der im örtlichen Supermarkt für Melon-Pan-Knappheit sorgte, war es ein wundervoller Urlaub, den ich jedem Fan von Sonne, Ruhe und Meeresschildkröten nur empfehlen kann. Bei meiner zweiten Reise im Herbst 2018 lernte ich jedoch eine ganz andere Seite Okinawas kennen.

Die viertägige Reise auf der Hauptinsel der Präfektur wurde von der Japanischen Fremdenverkehrszentrale organisiert und sollte den Teilnehmern aus der internationalen Tourismusbranche Okinawa als Reiseziel in Japan näherbringen. Ich teilte die vorherrschende Meinung der Reisegruppe: Die vorgestellten Ausflugsziele waren nicht unbedingt ideal, um die urlaubslustigen Touristen der Zielgruppenländer anzulocken. So mag beispielsweise die Landschaft um das in Japan berühmte Churaumi-Aquarium zwischen Meer und Palmen zwar herrlich und durchaus sehenswert sein, doch das Aquarium als solches führt wohl kaum die Hitliste von Reisedestinationen an.

Während meine Mitreisenden (meist aus europäischen und englischsprachigen Ländern) teils ob der mageren Ausbeute an möglichen Reisetipps enttäuscht waren, ging ich (als einzige Medienvertreterin der Gruppe) in meinem Element voll auf. Der Charme von Okinawas Hauptinsel liegt nicht in den typischen Touristenattraktionen, sondern darin, in die traditionelle Kultur und bisweilen dramatische Geschichte der Inseln einzutauchen. Doch lassen Sie mich etwas weiter ausholen.

Die Geburt Ryūkyūs

Die Inselgruppe, die wir heute als Präfektur Okinawa bezeichnen, war lange Zeit unter dem Namen Ryūkyū bekannt und besaß eine eigene Kultur, die sich mehr oder weniger außerhalb des Einflussgebiets Japans entwickelte. Mit dem Beginn eines auf Landwirtschaft basierenden Lebensstils ab dem 12. Jahrhundert, zeichneten sich während der sogenannten Gusuku-Zeit (gusuku sind die altertümlichen Burgen Ryūkyūs) drei Machtsphären im Norden, im Süden und in der Mitte der Region ab.

Zwischen den Mauern der Zakimi-Burgruine zu flanieren öffnet den Blick für die Gusuku-Zeit. Das Panorama beeindruckt auch bei Regenwetter.
Zwischen den Mauern der Zakimi-Burgruine zu flanieren öffnet den Blick für die Gusuku-Zeit. Das Panorama beeindruckt auch bei Regenwetter.

Diese drei Reiche fochten untereinander einen harten Konkurrenzkampf um Macht
und Reichtum aus und der internationale Handel mit China und Japan, der beides ermöglichen sollte, florierte. Entsprechend groß war auch der Einfluss beider Kulturkreise auf die Entwicklung Ryūkyūs. Mit China gingen alle drei Gebiete gar ein Tributsystem ein und Ryūkyū konnte sich so als designierter Zwischenhändler von Japan und anderen ostasiatischen Ländern behaupten.

1429 einte der Machthaber im Süden, Shō Hashi, erstmals alle drei Gebiete unter einer Herrschaft und proklamierte das Ryūkyū-Königreich. Zentrum seiner Macht wurde die rot leuchtende Burg Shuri in der heutigen Präfekturhauptstadt Naha, welche sich zu einem regen Knotenpunkt des Handels und der Kultur entwickelte. Die politische Lage wurde allerdings von Revolten durchbrochen und erst 1470 begann mit der Regentschaft von Shō En und dessen Nachfolgern eine Zeit der dauerhaften Stabilität. Mit zunehmender Bürokratie, neuen Verwaltungsordnungen und einer Reform des religiösen Systems als spirituelle Kontrolle des Hofes leutete Shō Shin das Goldene Zeitalter Ryūkyūs ein.

Sēfa Utaki ist eine der heiligsten Stätten der antiken Religion Ryūkyūs.
Sēfa Utaki ist eine der heiligsten Stätten der antiken Religion Ryūkyūs. In dschungelhafter Atmosphäre entdeckt man dort zeremonielle Schreine und in den Bäumen mitunter auch Flughunde.

Doch zum Ende des 16. Jahrhunderts richtete sich das wachsende Expansionsbestreben des neu geeinten Japans schließlich gegen Ryūkyū. Zunächst wandten sich der Shimazu-Clan aus der Provinz Satsuma und Reichseiniger Toyotomi Hideyoshi an Ryūkyū, mit einer Forderung zur Beitragsleistung für das japanische Militär. 1609 folgte mit dem Einverständnis Tokugawa Ieyasus der Einfall von Satsumas Truppen auf Ryūkyū, welcher ohne großen Widerstand nach zehn Tagen siegreich endete. Das offiziell weiterhin unabhängige Ryūkyū wurde de facto unter die Herrschaft der Shimazu und des Tokugawa-Shōgunats gestellt.

Im Yuntanza Museum wird neben Exponaten, die das Leben der damaligen Zeit illustrieren, auch traditionelle Handwerkskunst Ryūkyūs ausgestellt.
Im Yuntanza Museum wird neben Exponaten, die das Leben der damaligen Zeit illustrieren, auch traditionelle Handwerkskunst Ryūkyūs ausgestellt.
Yuntanza Museum auf Okinawa

Die Zeit der Vorherrschaft

Nach außen hin wurde der Anschein von Ryūkyūs Unabhängigkeit gewahrt, um den Handel mit China, der eine neue, bedeutende Einnahmequelle für die Shimazu darstellte, nicht zu gefährden. Vom König und dessen Ministern forderte der Clan allerdings Loyalität in Form einer schriftlichen Erklärung der Unterwerfung Ryūkyūs. Das Königreich wurde so in eine Doppelabhängigkeit zu China und Japan katapultiert.

Die Vorherrschaft Satsumas brachte eine Reihe politischer, gesellschaftlicher und
religiöser Reformen mit sich. Einerseits wurde das Leben durch die neue finanzielle Belastung anhand von Steuer- und Lebensmittelabgaben an die Shimazu erschwert. Auf der anderen Seite sollten Maßnahmen zum kulturellen Austausch die Beziehungen zwischen Ryūkyū und Satsuma stärken. Ein Großteil der heute traditionellen Okinawaer Kultur basiert auf diesem Austausch und der Vermischung beider Kulturkreise.

Noch vor der Öffnung Japans und der Annexion Ryūkyūs nahmen die USA in Person von Commodore Perry diplomatische Beziehungen mit dem Königreich auf.
Noch vor der Öffnung Japans und der Annexion Ryūkyūs nahmen die USA in Person von Commodore Perry diplomatische Beziehungen mit dem Königreich auf. © OCVB

Aus Ryūkyū wird Okinawa

Mit der Öffnung Japans und dem Zusammenbruch der Militärregierung des Shōgunats in der Mitte des 19. Jahrhunderts, brach auch für das Königreich Ryūkyū eine neue Ära an. Trotz der Einführung der japanischen Präfekturen 1871 behielt Ryūkyū zunächst seinen Namen und wurde unter König Shō Tai als japanische Domäne geführt. Nur vier Jahre später wurden die Tributbeziehungen mit China abgebrochen, die Ryūkyū-Domäne aufgelöst und Okinawa als Präfektur endgültig vom imperialen Japan annektiert. 1879 endete die 500-jährige Königslinie Ryūkyūs mit der Order, der abgesetzte König Shō Tai möge nunmehr in Tōkyō residieren.

Abgesehen von der Einverleibung Okinawas durch Japan, schaffte die Meiji-Regierung erst nach und nach alte Verwaltungssysteme ab, weshalb die junge Präfektur nicht mit der Entwicklung des restlichen Landes Schritt halten konnte. Bürokratische und kulturelle Richtlinien, die Einführung der Wehrpflicht sowie Landneuverteilungen sollten Okinawa auf einen Standard mit Japan bringen und die Ryūkyūer Kultur systematisch assimilieren. Die unterschwellige Missbilligung vieler Bürger Okinawas, wie Japaner zweiter Klasse behandelt und von der japanischen Regierung vernachlässigt zu werden, hält teils bis heute an. Konträr zu dieser Unzufriedenheit, erstarkte mit der Position Japans in Asien allerdings auch der Stolz in der Bevölkerung Okinawas, ein Teil des Kaiserreichs zu sein.

Die Schlacht um Okinawa

Mit dem Ausbruch des Pazifikkriegs wurde Okinawa zur vordersten Front in Japans Verteidigungslinie. Teile der Zivilbevölkerung wurden evakuiert, Schulen und andere Gebäude zu Militärstützpunkten umfunktioniert. Mit der Zunahme von Luftangriffen durch das US-Militär wurden Militärdrills an Schulen intensiviert und schließlich die Evakuierung von Schülern gestoppt, um diese als Hilfstrupps in die sogenannten tekketsu kinnōtai (Kaisertreue Truppe von Blut und Eisen) einzuberufen.

Die Schlacht um Okinawa begann im Frühjahr 1945 mit der Landung des US-Militärs auf Kerama und wurde mit der Invasion der Hauptinsel Okinawas fortgeführt. Das japanische Militär änderte daraufhin seine Strategie der Verteidigung der Küste und die Truppen zogen sich ins Landesinnere zurück, um geschützt von Höhlensystemen aus Widerstand zu leisten. Die Schlacht zog sich über drei Monate und beide Seiten scheuten keine Kollateralschäden. Zivilisten, die sich in für die japanischen Soldaten strategisch günstigen Höhlen versteckten, wurden aus diesen vertrieben; die Bevölkerung wurde teils explizit dazu angehalten, Suizid zu begehen, bevor sie in Gefangenschaft durch die US-Truppen geriet.

Die Niederlage der finalen Schlacht am 23. Juni trieb auch den japanischen Befehlshaber Ushijima Mitsuru zum rituellen Selbstmord und der organisierte Widerstand gegen das überlegene US-Militär fand ein Ende. Die Schlacht forderte die Leben von rund 20.000 US-Soldaten, 100.000 japanischen Soldaten und 100.000 Zivilisten.

Die Schlacht um Okinawa forderte viel von der Bevölkerung Okinawas.
Die Schlacht um Okinawa forderte viel von der Bevölkerung Okinawas. Die Bewältigung der Kriegstraumata dauert bis heute an. © OCVB

US-Besatzungszeit und Rückgabe an Japan

Mit der Invasion Okinawas im März 1945 hatte das US-Militär alle politischen Aktivitäten der japanischen Regierung auf Okinawa eingestellt. Mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags von San Francisco am 2. September 1945 ging die Kontrolle über Okinawa dann an die US-Regierung. Alle Entscheidungen der eingesetzten Zivilregierung Okinawas konnten von den amerikanischen Entscheidungsträgern aufgehoben werden.

Abgeschnitten von den japanischen Hauptinseln, entwickelte sich Okinawa fortan unter US-Autorität fort; das alltägliche Leben war entscheidend von der US-Präsenz geprägt. Auch seit der Rückgabe Okinawas an Japan im Mai 1972 werden die zahlreichen US-Stützpunkte als Beschneidung des Lebens der Bevölkerung wahrgenommen. Konflikte zwischen der Präfektur- und der japanischen Zentralregierung um die Belastung Okinawas durch die starke US-Präsenz sind noch heute ein Thema.

Gedenktafel auf Okinawa: „Das Leben ist der größte Schatz“
„Das Leben ist der größte Schatz“

Traditionelles Okinawa, modernes Okinawa

Auch wenn sich meine Erfahrungen auf Okinawa größtenteils – nicht zuletzt aufgrund der kurzen Dauer meiner Reise – auf die Zeit bis zur Schlacht um Okinawa beschränken, konnte ich dennoch einen Einblick in das moderne Okinawa erhaschen. Die vielfältigen kulturellen Einflüsse seit der Zeit des Königreichs prägen die Gesellschaft bis heute und hinterlassen auch bei Japanreisenden einen bleibenden Eindruck. So werde ich etwa die atemberaubende Performance zweier junger Musikerinnen nie vergessen, die in traditionellen Gewändern auf volkstümliche Art Bob Marleys „No Woman No Cry“ zum Besten gaben.

Die Reise hat in mir die Lust geweckt, alle Facetten Okinawas zu entdecken und wenn es Ihnen ähnlich geht, kann ich eine klare Empfehlung aussprechen: Verlassen Sie die bekannten Pfade der Reiseführer und lassen Sie sich auf das authentische Okinawa ein.

Pension OkinawaMein Okinawa I: Ryota Teruya, HotelbesitzerWie das wohl ist, wenn man auf Okinawa lebt - einem Paradies mit weißen Stränden und türkisfarbenem Meer, in dem die Menschen so alt werden...16.09.2016

Tipps für Okinawa-Reisende

Yuntanza-Museum

Das Yuntanza-Museum an der Weltkulturerbestätte der Zakimi-Burgruinen präsentiert Artefakte der Geschichte und des Kunsthandwerks der Gegend. Die Beschriftung gibt es bisher nur auf Japanisch, doch bieten die Ausstellungsstücke auch ohne detaillierte Beschreibung einen wunderbaren, visuellen Einblick in das Leben der damaligen Zeit.

Adresse: 708-6 Zakimi, Yomitan, Nakagami, Okinawa 904-0301
Öffnungszeiten: Do-Di 9-18 Uhr
Telefonnr.: +81 098 958 3141

Das Yuntanza-Museum auf Okinawa.

Himeyuri-Friedensmuseum und -park

Die Schlacht um Okinawa wird im Himeyuri-Friedensmuseum anhand der Geschichte des Himeyuri-Schülertrupps erzählt. Der Hilfstrupp aus 222 Schülerinnen und 18 Lehrern wurde im März 1945 zur Versorgung von Verwundeten mobilisiert. Mehr als die Hälfte verloren ihr Leben. Im angrenzenden Friedenspark erinnern Denkmäler an die Verluste der Schlacht.

Adresse: 671-1 Ihara, Itoman, Okinawa 901-0344
Öffnungszeiten: täglich 9-17:30 Uhr
Telefonnr.: +81 (0)98 997 2102
www.himeyuri.or.jp

Himeyuri-Friedenspark auf Okinawa.

Dieser Artikel erschien in der Januar-Ausgabe des JAPANDIGEST 2019 und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.

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