Skandal ohne Konsequenzen? Was sich Personen des öffentlichen Lebens in Japan erlauben (dürfen)

Matthias Reich
Matthias Reich

Skandale gibt es überall auf der Welt. Bekanntlich richtet hier jedoch nicht nur das Gericht (wenn überhaupt), sondern das Volk - und da sieht es in Japan mit der gesellschaftlichen Akzeptanz etwas anders aus.

© Photo AC / AKO110

Der November 2024 brachte gleich zwei interessante Skandale hervor: Der erste wurde von Tamaki Yuichirō verursacht, dem charismatischen Parteivorsitzenden der Demokratischen Volkspartei Japans, die bei der Unterhauswahl im Vormonat einen Achtungserfolg erzielte, indem sie ihre Parlamentssitze von 7 auf 28 vervierfachen konnte. Tamaki war einer der schillerndsten Politiker im Wahlkampf, denn bei seinen öffentlichen Auftritten hörten tatsächlich viele Menschen auf der Straße zu. Doch dann das: Das Online-Klatschblatt SmartFLASH veröffentlichte im November Informationen[1], de Tamaki dazu zwangen, ein öffentliches Geständnis abzulegen. Denn die Papparazzi des Magazins erwischten ihn dabei, wie er sich Ende Oktober mit einer jungen Gespielin, ihrerseits “Fremdenverkehrsbotschafterin von Takamatsu”, zu einem nächtlichen Stelldichein in einem Hotel verabredete. Das Problem: Selbstredend ist Tamaki verheiratet, und das schon lange.

Ehebruch in Japan durchaus gängig

Seitensprünge sind in Japan eigentlich keine Seltenheit: Der “Japan Sex Survey 2024”[2] offenbart, dass fast ein Viertel der derzeit verheirateten oder in einer Beziehung stehenden Männer in den 40ern und 50ern fremdgeht – nur um die 40 % der gleichen Altersgruppe geben an, dies noch nicht getan zu haben. Bei den Frauen sind es um die 20 % mit aktivem Seitensprung und knapp 65 % ohne. Andere Quellen[3] gehen von ähnlichen Zahlen aus – 74 % der japanischen Ehemänner erlauben sich mindestens einmal einen Seitensprung, bei Ehefrauen sind es 30 %. Doch obwohl offensichtlich weit verbreitet, ist der Seitensprung gesellschaftlich enorm verpönt. Und er kann kostspielig sein: Gerichte erlauben in einem solchen Fall die sofortige Scheidung, außerdem werden im Schnitt zwischen 3.000 und 18.000 Euro Schadensersatz fällig. Im Falle von Tamaki ist der politische Schaden um ein Vielfaches höher: Sofort machte der Spruch “Wie soll man einem Politiker das Volk anvertrauen können, dem man nicht mal eine Familie anvertrauen kann?”. Tamaki bot dementsprechend auch seinen Rücktritt vom Parteivorsitz an, doch die Führung lehnte das ab. Irgendwann wird vielleicht Gras über die Sache wachsen – doch mit der Aktion, mehr aber noch mit dem darauffolgenden Medienrummel, hat der vielversprechende Politiker viel Schaden für seine Partei verursacht.

Dating in Japan: Untreue vorprogrammiert?Eine Entertainment-Branche mit Hostessen-Bars, Girlsclubs und Love Hotels, die auf Männer egal welchen Beziehungsstands abzuzielen scheint....06.08.2024

Politikskandal ohne Konsequenzen

Der zweite Skandal schwelte schon sehr lange vor sich hin und betraf den Gouverneur der Präfektur Hyōgo. Saitō Motohiko, ein junger und ebenfalls charismatischer Politiker, geriet in den Verdacht des Mobbings und dem Erlangen von geldwerten Vorteilen in zahlreichen Fällen. Es hagelten mitunter gravierende und zum Teil unglaubliche Vorwürfe: So besuchte er wohl mehrfach eine Krabbenfischerei im Norden der Präfektur, die für eine besondere Art der begehrten Krustentiere bekannt ist. Dort erwartete er jedes Mal ein Geschenk – in Form von zahlreichen Krabben, die er aber nie mit seiner Entourage teilte, sondern stets allein mit nach Hause nahm. Das ging solange, bis die Fischerei die Präfekturregierung darum bat, von zukünftigen Besuchen bitte abzusehen. Die Vorwürfe wurden so laut, dass es im Präfekturparlament zu einem Misstrauensvotum kam – dieses wurde ohne eine einzige Gegenstimme angenommen. Das allein war schon beachtlich. Das Protokoll verlangt in diesem Fall, dass der Gouverneur das Parlament auflöst und Neuwahlen ansetzt. Was auch geschah – mit dem überraschenden Ergebnis, dass er schon beim ersten Wahldurchgang mit knapp 56 % die absolute Mehrheit der Stimmen erreichte, im Vergleich zu 41 % bei der vorherigen Wahl. Der Duktus der Pro- und Anti-Saitō-Flügel erinnerte im Vorfeld der Wahl ein bisschen an den jüngsten US-amerikanischen Wahlkampf, denn für viele ging es nicht mehr nur um die Person Saitō, sondern gleich um den Einfluss sozialer Medien, einer lügenden Presse und gar um den Untergang der Demokratie. Die eigentlichen Vorwürfe gegen Saitō spielten da kaum noch eine Rolle.

Seitensprung? Ein Unding. Mobbing oder Vorteilsnahme? Geht in Ordnung. Wir sind alle nur Menschen. Diesen Eindruck hinterlassen diese und ähnliche Skandale in Japan. Das Einzige, was in der japanischen Gesellschaft noch weniger akzeptiert wird als Seitensprünge, sind Drogen – selbst wenn es, aus deutscher Sicht “nur” um Marihuana geht.

Kommentare

Diese Woche meistgelesen

Top Stories

Autoren gesucht

Lesen Sie hier, wie Sie Teil unseres Teams werden!