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Todesstrafe in Japan – wider den Zeitgeist

Matthias Reich
Matthias Reich

Im vergangenen Monat hatten die Henker in Japan viel zu tun: Am 6. Juli 2018 wurden 13 Verurteilte durch den Strang hingerichtet. Die anachronistisch anmutende Höchststrafe steht in Japan jedoch nicht zur Debatte. Ein Meinungsbeitrag von unserem Autor aus Japan.

Wie immer kamen die Meldungen erst nach vollzogener Hinrichtung in den Nachrichtenticker: Das Justizministerium gab am Nachmittag bekannt, dass man gleich 13 Verurteilte gehängt hatte. Alle 13 waren Mitglieder der berüchtigten Aum-Sekte, die vor 23 Jahren ein Giftgasattentat auf Berufspendler in der Tōkyōter U-Bahn ausführte und eine ganze Nation schockte – ging man doch im In- und Ausland davon aus, dass Japan ein überaus sicheres Land sei. Nach einem Mammutprozess, abgeschlossen wurde er für die 13 erst Anfang 2018, wurde allen eine besonders schwere Schuld an dem Attentat attestiert und in Fällen wie diesen verlangt das japanische Gesetzbuch die Todesstrafe. Diese wird in Japan zwar regelmäßig verhängt und Exekutionen werden auch gebündelt, doch 13 an einem Tag gab es im Nachkriegsjapan bisher noch nicht.

Japan steht mit dieser Höchststrafe zunehmend isoliert da. Immer mehr Nationen verzichten auf die Todesstrafe und schaffen sie letztendlich ganz ab, so auch der Nachbar Südkorea. Doch in Japan fehlt bisher eine breite gesellschaftliche Debatte über das Thema. – Ganz im Gegenteil: Bei regelmäßig erhobenen Umfragen geben jeweils mehr als 80% der Japaner an, dass sie das staatliche Töten befürworten – man hält es schlichtweg für logisch und konsequent, dass ein Mensch, der andere Menschen ermordet hat (und keine Reue zeigt), selbst ermordet werden muss/sollte. Das ist insofern interessant, als Japan ab dem 9. Jahrhundert für mehr als 300 Jahre die Todesstrafe abgelehnt hatte. Man war den Humanisten in Europa in dieser Hinsicht weit voraus (ganz zu schweigen vom China der damaligen Zeit, wo auf nahezu jedes Verbrechen der Tod stand, gestaffelt in rund 200 verschiedenen Stufen der Grausamkeit, je nach Schwere der Tat).

Zeichnung: Transport zur HinrichtungTodesstrafe in JapanJapan ist neben den USA die einzige westliche Demokratie, die noch immer die Todesstrafe vollstreckt. Seit Beginn der Abe-Regierung wurden 2...17.05.2018

Ungewissheit in der Stille

Die jüngste “Massenhinrichtung” wurde auch von den ausländischen Medien aufgegriffen und natürlich negativ gewertet. Organisationen wie Amnesty International prangern dabei nicht nur die Todesstrafe als solche an, sondern auch das ganze Drumherum, denn das japanische Strafjustizsystem ist in Sachen Todesstrafe besonders perfide. Dafür gibt es hauptsächlich zwei Gründe: Zum einen liegen zwischen Urteilsspruch beziehungsweise dem Ausschöpfen der letzten rechtlichen Mittel mal Monate, mal Jahrzehnte – im Schnitt sind es rund 20 Jahre. Der Tod kommt dabei gänzlich ohne Vorwarnung: Es gibt kein letztes Mahl, keine letzten Worte, keine Zeugen. Irgendwann in dieser mitunter sehr langen Zeit werden die Verurteilen urplötzlich gehängt. Nicht nur die Presse, sondern auch die Angehörigen werden dann vor vollendete Tatsachen gestellt. Die Verurteilten leben tagein, tagaus mit der Ungewissheit, ob man den morgigen Tag noch erlebt oder nicht.

Zum anderen gelten die Delinquenten nach dem japanischen Recht nicht als Gefangene und so werden ihnen auch die eigentlich garantierten Rechte eines Inhaftierten verwehrt: Sie leben durchweg in Einzelhaft, dürfen sich in ihrer Zelle nicht physisch betätigen und Fernseher und Computer sind auch nicht erlaubt. Lediglich drei Bücher dürfen sie besitzen. Das macht die meisten Gefangenen natürlich mürbe. Hintergrund dieser Regelung ist, dass der Tod selbst die Strafe ist, nicht aber die Zeit bis zum Tod, weshalb die Delinquenten nicht in einem herkömmlichen Gefängnis verwahrt werden. Die Isolationshaft und das Verbot von nahezu allem sind damit begründet, dass ihnen keine Gelegenheit gegeben werden soll, sich vor der Vollstreckung selbst das Leben zu nehmen.

Ein halbes Jahrhundert in Einzelhaft

Selbst spektakuläre Fälle wie der des ehemaligen Profiboxers Iwao Hakamada erzeugen keine breiten Diskussionen gegen die Todesstrafe. Hakamada schaffte es mit einem traurigen Rekord ins Guinness-Buch der Rekorde: Geschlagene 46 Jahre lang saß er als zum Tode Verurteilter in Einzelhaft, bevor in einem Berufungsverfahren festgestellt wurde, dass er unschuldig ist. Das ist selten und kam nur aufgrund besonderer Umstände zustande als einer der drei Richter, die das Todesurteil verhängten, auspackte: In Japan reicht ein Geständnis aus, um verurteilt zu werden, doch gerade früher wurden Geständnisse nicht selten von der Polizei erzwungen – ein Widerruf seitens des Beschuldigten im Gerichtssaal war dabei nahezu unmöglich. Ob Hakamada letztendlich Glück hatte, nicht gehängt zu werden, ist Ansichtssache. 46 Jahre lang in einer japanischen Todeszelle zu sitzen ist an sich eigentlich fast schlimmer als der Tod selbst.

Die einzige Diskussion, die nach der Hinrichtung der Sektenmitglieder – darunter auch der Anführer Shoko Asahara – entbrannte, war die, wie wohl die Nachfolgeorganisation Aleph darauf reagieren und wer den Leichnam Asaharas abholen würde.

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