Die Maschen der Host Clubs: Vom Prinzessinnen-Dasein zur Prostitution | Teil 2

Nils Gärtner
Nils Gärtner

Japan bietet bekanntermaßen eine Vielfalt an nächtlichen Entertainmentmöglichkeiten. Einen für Europäer eher befremdlichen Auswuchs dessen, stellt die Host- und Hostessen-Industrie dar. In unserem Artikel beleuchten wir die Schattenseiten der nach außen hin glitzernden Spaßwelt.

Kabuki-cho

Bei den kopiösen Mengen an Alkohol, mit welchen sich die Hosts tagtäglich konfrontiert sehen, liegt die Frage nicht fern, welche Auswirkungen dies auf deren körperliche Verfassung hat. Zu Anfang der Schicht versuchen die Hosts daher stets, das Trinken von Alkohol soweit wie möglich zu vermeiden. Ist dies nicht machbar, ist das Erbrechen auf der Toilette eine veritable Gegenmaßnahme, bevor der Großteil des Alkohols vom Blut aufgenommen wird. Denn auch hier gilt, wie in so ziemlich jedem Beruf: Wer betrunken arbeitet, arbeitet schlecht. Daher ist es oft so, dass Hosts, welche ungehemmt mit ihren Gästen trinken, alsbald nicht mehr viel Kundschaft einbringen. Neben den negativen Auswirkungen des Alkoholkonsums auf das Äußere, stellt auch der Verfall zum Alkoholismus eine reelle Gefahr dar.

Workaholics und Zuneigungsspender – Der Lebensstil der Hosts

Geschlechtsverkehr mit den Kundinnen gehört zwar ebenso zum Host-Alltag wie das Verwöhnen der Frauen im Club, wird von den Hosts jedoch niemals von sich aus angeboten, u.a. da intimer Kontakt mit den Hosts im Club verboten ist. In der Regel können die Frauen erst nach einigen Besuchen im Host Club die Kontaktdaten ihres Hosts erfragen und diesen so auf „Dates“ ausbitten. Die Treffen zwischen Matrone und Host finden meist außerhalb der nächtlichen Arbeitszeiten der jungen Männer statt, sodass diese täglich oftmals nur Zeit für ein paar Stunden Schlaf haben.

Eine Kundin veranschaulicht in einem Interview mit der japanischen Anthropologieprofessorin Takeyama Akiko hierzu, dass sie gar nicht so sehr am Akt selbst interessiert sei, sondern eher an der körperlichen Nähe zu ihrem Host, mit welchem sie nunmehr eine Pseudo-Beziehung führt. Für sie reiche es von ihm privat verwöhnt und in die Arme genommen zu werden. Diese Erfahrung ist jedoch kein Einzelfall. Viele Frauen in einem solchen Verhältnis betrachten die körperliche Nähe und Wertschätzung die sie erfähren, als das Hauptsächliche.

Weiterhin gibt es natürlich auch jene Frauen, die von Anfang an genau wissen worauf sie sich einlassen. Sie machen sich keine Illusionen, mehr vom Host zu bekommen als das, wofür Sie bezahlen. Laut Host Kunugi Akaya, sind diese Kundinnen sehr viel angenehmer als jene, die aufdringlich werden und sich ständig mit ihm außerhalb der Arbeit treffen wollen.

Als Dankeschön für die Zuwendungen ist es keineswegs selten, dass die jungen Männer neben Geldgeschenken auch teure Accessoires, Autos oder sogar Wohnungen von ihren Matronen erhalten. So haben sich schon viele Hosts aus ärmlichen Verhältnissen zum Millionär gemausert.

Lukrative Geldquelle für Hosts

Nicht alle Hosts wissen jedoch, mit dem relativ spontanen Reichtum umzugehen und verprassen das Geld. Wenn ihre Beliebtheit dann aufgrund fortschreitenden Alters und abnehmender körperlicher Verfassung schwindet, stehen viele oft vor dem Nichts. Allerdings sind es nicht nur perspektivlose oder arme junge Männer, welche anfangen, als Host tätig zu werden. Zunehmend arbeiten immer mehr Studenten in Teilzeit in solchen Clubs, um sich so ihr Studium zu finanzieren.

Die Hosts dienen den Frauen so primär als Ventil zum Dampf ablassen. Meistens stammt der aufgebaute Frust von ihren beruflichen oder sozialen Umständen in der weiterhin stark geprägten pratriarchalischen Gesellschaft Japans. In den Host Clubs können die Frauen den Ton vorgeben und über die Männer bestimmen. Tachibana Ryo, der Manager eines großen Host Clubs in Kabuki-chō, erzählte, er habe zu seiner Zeit als Host sogar für 300.000 Yen durchgekaute und ausgespiene Nudeln aus den High Heels einer Matrone gegessen. Noch einmal könne er das nicht machen, so sagt er, aber er sei jung gewesen und brauchte das Geld.

Das Machtgefälle der Industrie

In der Realität können viele Frauen jedoch kein richtiges Machtverhältnis über die jungen Männer aufbauen, da sie schließlich für deren Dienste bezahlen müssen und die Gefahr besteht, in ein eher einseitiges Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem Host zu geraten. Der Besuch eines Host Clubs, welcher vor mehr als 40 Jahren noch ausschließlich älteren und reichen Frauen erfolgreicher Geschäftsmänner vorbehalten war, ist seit spätestens Anfang der 1990er Jahre ebenso für jüngere Frauen und teils sogar minderjährige Mädchen zugänglich geworden.

Spätestens jedoch beim zweiten Besuch stellen die jungen Frauen fest, dass die privilegierte Behandlung durch die Hosts einen hohen Preis hat. Dass dieser nicht nur monetär, sondern auch psychisch und körperlich sein kann, davon ahnen die meisten zu diesem Zeitpunkt noch nichts. Kommen die Besucherinnen der Host Clubs nicht aus einer reichen Familie, sind beruflich weniger erfolgreich oder haben keinen gutbetuchten Ehemann, wird ihnen oft eine clubinterne Anschreibung ihrer Rechnung angeboten. Haben sie dann nach mehreren Aufenthalten dort hohe Schulden von etwa 0,3 bis 1 Millionen Yen oder mehr angehäuft, ist Zahltag.

Verschuldung als hoher Preis für Kundinnen

Mit der Schuldeneintreibung werden nun oft Kredithaie beauftragt. Diese bieten den Frauen an, die Rechnung für sie zu begleichen. Im Gegenzug zwingen sie die Frauen zur Arbeit in Sex-Clubs, Strip-Clubs oder kyabakura (Hostess Clubs). Letztere stellen das aufs andere Geschlecht ausgerichtete Pendant zu den Host Clubs dar. In zahlreichen Instanzen haben die Geschäfte, in welchen die Frauen nun anschaffen müssen, eine Verbindung zum Host Club, sodass diese doppelt an der Abhängigkeit der Frauen verdienen.

Oftmals werden die Frauen erst von ihrer Schuld freigesprochen, wenn sie bereits ein Mehrfaches ihrer eigentlichen Schulden erarbeitet haben. Einige Establishments gehen sogar soweit, die kurz vor ihrer Abbezahlung stehenden Frauen zu einer besonderen, einer Host-Geburtstagsfeier anmutenden Party einzuladen, nur um sie danach für das Teilnahmeprivileg erneut zu verschulden.

Dabei machen manche Host Clubs selbst vor Minderjährigen keinen Bogen. Die japanische Zeitung Asahi Shimbun berichtete von einem Fall, in welchem die Betreiber eines Clubs aus der Präfektur Hyōgo 2004 ein 15- und ein 16-jähriges Mädchen in Schulden laufen ließen und diese dann für rund 10.000 USD an eine Bordell-Bar weiterverkauften. Laut Report mussten die Mädchen dort, gefangen in einem Apartment, mit etwa 200 Freiern innerhalb von nur zwei Monaten verkehren, bevor Sie von der Polizei befreit werden konnten.

Nicht alle Host Clubs müssen in ein solches Netz systematischer Ausbeutung eingebettet sein, jedoch bleiben die erwähnten Vorkommnisse keine Einzelfälle und stellen ein weiterhin bestehendes Problem des Gewerbes dar. Betreiber Tachibana erzählt, die Szene sei heute durch strengere Polizeikontrollen und weniger Einfluss durch die Yakuza sehr viel sauberer als früher.

Natürlich gibt es auch Frauen, welche freiwillig in den mizu shōbai („Wasserhandel“) eintreten. „Wasserhandel“ ist ein etablierter Euphemismus für Japans nächtliche Entertainments, in welchen die Frauen und Männer ihre Zeit und Körper an Kunden verkaufen, ähnlich dem europäischen Begriff „Rotlichtviertel“. Diese von ihrer Beziehung zum Host abhängigen Matronen fangen dort von selbst an zu arbeiten, da sie „ihren“ Protegé so unterstützen wollen, wenn das Gehalt aus ihrem regulären Tagesjob nicht mehr ausreicht. Dass die Männer sich davon teure Autos, Kleidungen, Schmuck, Schönheits-OPs und vieles mehr kaufen ist zweitrangig. Die Obsession dieser Frauen ist einzig und allein der Erfolg ihres Hosts.

Vom Host-Club in die Prostitution

Fest steht jedoch auch, dass jene Frauen, die freiwillig oder gezwungenermaßen in Japans mizu shōbai einsteigen, einen erheblichen Teil an Kundinnen der Hosts ausmachen. Sie treffen oft nach Mitternacht in den Clubs ein, wenn ihre männliche Kundschaft sich auf den Heimweg gemacht hat und auch die Zahl der Geschäftsfrauen, welche ihren Abend mit den Hosts verbringen, allmählich weniger wird.

Weil sie sich während der Arbeit den Männern gegenüber stets folgsam zu verhalten haben, besuchen die Frauen des mizu shōbai nach der Arbeit gerne die Host Clubs, in welchen sie die alltägliche Rollenverteilung umdrehen können. Hier können sie ihre Bedrückungen loswerden und entspannen – wenngleich auch nur für eine heftige Summe an Geld. Die Notwendigkeit hierzu besteht, da die in dem Gewerbe arbeitenden Frauen oftmals nicht in der Lage sind eine normale Beziehung mit einem Partner zu führen. Diese brechen häufig den Kontakt ab, sobald sie erfahren wie die Frauen ihren Lebensunterhalt verdienen. Der Host Club scheint demnach oft als einzige Möglichkeit für die Frauen, sich, wenn auch nur für ein paar Stunden, begehrt zu fühlen.

Bei der Suche nach Geld, Anerkennung und menschlicher Nähe, gehen Hosts und Hostessen des mizu shōbai auf diese Weise eine merkwürdige, wechselseitige Beziehung ein, dessen illusionistische Vorzüge am Ende so gut wie nie zusammen erfüllt werden. Die eigentlichen Profiteure dieser Industrie sind die Clubbetreiber und deren Geschäftspartner. Dies stellt wohl einen der Hauptgründe dar, warum zahlreiche Ex-Hosts und -Hostessen nach ihrer ersten Karriere selbst ein Geschäft in der Branche eröffnen und so das Potenzial der nachfolgenden Generationen abschöpfen.

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