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Blutgruppendeutung in Japan: Teil 2

Yasemin Besir
Yasemin Besir

Egal ob bei der Suche nach der großen Liebe, im Büro oder beim Shoppen: die Japaner lassen sich in vielen Lebenslagen von ihrer Blutgruppe leiten. Doch der Trend hat einen bitteren Beigeschmack.

Die Blutgruppe bestimmt den Geschmack: viele Produkte in Japan sind auf die einzelnen Bluttypen abgestimmt und versprechen verschiedenste Wirkungen.
Die Blutgruppe bestimmt den Geschmack: viele Produkte in Japan sind auf die einzelnen Bluttypen abgestimmt und versprechen verschiedenste Wirkungen. © Alexas_Fotos on Pixabay

Wie bereits im ersten Teil festgehalten, spielt die Blutgruppe in Japan eine sehr wichtige Rolle, nicht zu vergleichen mit der hierzulande herrschenden Unwissenheit über unsere hämatologische Zugehörigkeit. Eine nicht nur in Japan sondern in vielen ostasiatischen Ländern verbreitete Erscheinung, deren historische Evolution wir bereits behandelt haben. In dieser Fortsetzung liegt der Fokus vor allem auf der populären und sozialen Evolution des Phänomens und inwiefern es in den vergangenen Jahrzehnten zum Katalysator diskriminierender Verhaltensstrukturen wurde.

Herzblut: Von der Partnervermittlung bis zur richtigen Verhütung

Die Diskussion der Blutgruppenkompatibilität ist besonders im Kontext von Frauenzeitschriften und des Frühstücksfernsehens beliebt. So werden, wie bei uns die Sternzeichenhoroskope, Blutgruppentypen aufeinander abgestimmt und wöchentlich veröffentlicht. Partnervermittlungen bieten Tests zur Blutgruppenkompatibilität (sowohl mit potentiellen als auch mit aktuellen Partnern) an und in Tōkyō finden regelmäßig Speed-Dating-Veranstaltungen statt, wo Frauen gezielt Männer einer bestimmten Blutgruppe kennenlernen können. Zudem können Unternehmen spezielle Personalberater mit der optimalen Zusammensetzung ihrer Teams beauftragen, indem sie die richtige Verteilung der Blutgruppen berücksichtigen, um die bestmögliche Büroharmonie und Produktivität sicherzustellen.

Die Softballnationalmannschaft der Frauen soll ein an die Blutgruppen angepasstes Training erstellt haben, mit dem sie Olympisches Gold holen konnten. Kindergärten haben sich blutgruppenspezifische Lehrmethoden angeeignet und führende Unternehmen basieren ihre Entscheidungen auf den Blutgruppen ihrer Angestellten. So wählte etwa Mitsubishi Electronics bei der Erstellung eines Teams aus ausschließlich AB-Typen, da diese angeblich eine besondere Fähigkeit zum Planen haben.

 

ハーイ、ミッチーです! 昔、流行ったの『自分の説明書』 私はB型、当時好きだった人がO型だったので、つい買ってしまいました。 なので、ずーっとB型とO型しかなかったので.せっかくなんでA型とAB型のも揃えました! あー、わかるわかるー! 当てはまらんかな〜 とか、ワーワー言って盛り上がりましょ♬ イェイヘーイ!!#tokyo#bar#beer#whisky#Japanesesake#shochu#tokyostation#rockandroll#rockabilly#punk#ska#oldies#昭和歌謡#東京駅#八重洲#日本酒#焼酎#プレミアム#guardshita#arigatojapantour#トーマスbarエジソン#立ち飲み#出会い#instagood#a型#b型#o型#ab型#血液型#説明書

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Bedienungsanleitungen für die verschiedenen Blutgruppen: Ein Bestseller in Japan. 

Auch in der Populärkultur ist es üblich, eine eindeutige Kennzeichnung nach Blutgruppen zu finden, sodass etwa Teenager stets die Blutgruppe ihrer Lieblingsidols kennen. Nicht nur bei Promis werden die verschiedenen Blutgruppen auf ihren Profilen (z.B. bei Wikipedia) angezeigt, sondern auch fiktive Manga- und Animecharaktere erhalten für gewöhnlich Blutgruppen, die ihren Persönlichkeiten entsprechen. Zudem ist es besonders beliebt, bei der Erstellung von Videospielcharakteren eine Blutgruppe für seinen Spieler auszuwählen. Eine Reihe von vier Buchbänden, die gewissermaßen als (Bedienungs-)Anleitungen für die unterschiedlichen Bluttypen dienen sollen, war 2008 auf der japanischen Bestsellerliste.

In vielen asiatischen Ländern gibt es sogar bei Facebook ein Feld, wo man die eigene Blutgruppe eintragen kann. Besonders in Südkorea ist die AB0-Klassifizierung von großer Beliebtheit. Der Film My Boyfriend is Type B behandelt das Phänomen, bei dem einer jungen Frau geraten wird, nicht mit einem Mann auszugehen, einzig und allein wegen seiner Blutgruppe. Zeitweise widmeten sich mehr als 50 Fernsehserien dieser Thematik.

Blutsverwandte Produkte

Trotz fehlender wissenschaftlicher Untermauerung, entwickelte sich ein blühender Markt blutgruppenspezifischer Produkte, die individuell an die hämatologische Beschaffenheit ihrer Käufer angepasst sind. Egal ob Limonaden, Kaugummis, Schokolade,  Badesalze oder sogar Kondome – ein ganzes Gewerbe geht auf den Blutgruppenwahn der Japaner ein und erzielt beachtliche Umsätze. Die Marke ABOBA stellt etwa eine bunte Vielfalt unterschiedlicher Kondome her, die man entsprechend der Blutgruppe des Partners aussucht und die kurze Beziehungstipps hinsichtlich der verschiedenen Kombinationen beinhalten. Jährlich verkauft sich das Produkt ca. zwei Milliarden Mal.

Die angepassten Softdrinks für die Gruppe B, zum Beispiel, erhöhen angeblich die geistige Ausdauer, für die Gruppe AB gibt es die Geschmackssorte Banane, während A-Typen Limonade mit Zitronenaroma nahegelegt wird, die einen hohen Vitamin C-Gehalt hat und laut Hersteller blanke Nerven wieder beruhigen soll. Träger der Gruppe 0 trinken dagegen Apfelsoda mit Multivitaminen, um Energie effizienter zu verbrennen. In Tōkyōs Electric Town Akihabara, dem Königreich der Otakus, gibt es sogar ein Blutspendezentrum, wo man seine Blutgruppe in Kombination mit dem einzigartigen Akiba-Erlebnis erfahren kann.

Von der Limo bis zum Badesalz: Die Japaner schwören auf kuriose Produkte, die auf die verschiedenen Blutgruppen abgestimmt sind.
Von der Limo bis zum Badesalz: Die Japaner schwören auf kuriose Produkte, die auf die verschiedenen Blutgruppen abgestimmt sind. © frolicsomepl on Pixabay

Blutfehde

Dass mit der so allgegenwärtigen Klassifizierung in unterschiedliche Blutgruppen auch eine Diskriminierung einhergeht, ist kein Wunder. Burahara (kurz für das Englische blood harassment) nennt sich das soziale Phänomen und ist verantwortlich für Mobbing auf Spielplätzen, Karrieremissstände und Trennungen. Auch wenn es streng genommen nicht erlaubt ist, fragen Arbeitgeber bei Vorstellungsgesprächen oft nach der Blutgruppe. Die Verweigerung einer Auskunft wird meist als Zeichen dafür aufgefasst, dass man sich für seine Blutgruppe schämt.

Bislang gab es noch keine Gerichtsverfahren im Kontext der Blutgruppendiskriminierung. Ohnehin sind, laut einer Umfrage, nur 20 Prozent der Japaner davon überzeugt, dass es eine Assoziation zwischen dem Blut und dem Charakter gibt. Nichtsdestotrotz kommt es zur häufigen Belästigung. Die zweithäufigste Blutgruppe 0, zum Beispiel, wird nur zu oft belächelt, wenn man etwas zu energisch tut und versehentlich kaputt macht. Träger der Gruppe A, die am meisten verbreitet ist, begegnen höchstens Kommentaren wie „Du bist kein klassischer A-Typ“, wenn jemand etwa nicht besonders organisiert ist und den positiven Erwartungen seiner Blutgruppe nicht entspricht.

Selbst Politiker haben sich schon über ihre Blutgruppe definiert und ihr Fehlverhalten darüber entschuldigt. Der nach der Dreifachkatastrophe 2011 zum Wiederaufbauminister erklärte Ryu Matsumoto etwa schob sein beleidigendes Auftreten gegenüber den Opfern auf seine Blutgruppe: „Ich bin ein Typ B, was bedeutet, dass ich reizbar und ungestüm werden kann und meine Absichten nicht immer gut rüberkommen“. Kritiker der Theorie entlarven regelmäßig die Irrelevanz der Blutgruppenanalyse und stellen sie als reinen Aberglauben dar. Tatsuya Sato, Psychologieprofessor an der Ritsumeikan Universität, stellt klar:

Die Blutgruppe mit der Persönlichkeit zu verbinden ist nicht nur unwissenschaftlich sondern falsch.

Die Illusion von Andersheit

Gründe für den Blutgruppenwahn finden sich vor allem in der mentalen Beschaffenheit der japanischen Gesellschaft. In einer genetisch größtenteils homogenen Bevölkerung ist der Wunsch groß, Menschen nach einem einfachen System zu sortieren und in deutlich erkennbare Gruppen zu unterteilen, auch wenn die damit erzeugte Diversität nicht mehr als die Illusion einer solchen ist. Weitere Meinungen suggerieren, dass das Blutfieber der nationalen Leidenschaft für Effizienz und Ordnung zuzuschreiben ist. „Die Menschen wollen in allem eine Regel finden, einschließlich der Persönlichkeit, da dies alles voraussehbarer macht und sie sich sicherer fühlen“, erklärt Geisteswissenschaftler und Autor Sakumi Itabashi.

 

Dass viele Deutsche ihre Blutgruppe gar nicht kennen, trifft in Japan auf große Verwunderung.
Dass viele Deutsche ihre Blutgruppe gar nicht kennen, trifft in Japan auf große Verwunderung. © allinonemovie on Pixabay

Es ist anzunehmen, dass Befürworter der Blutgruppendeutung bei der Lektüre charakterbezogener Horoskope ihr Selbstbild bestätigen und sich wiedererkennen, einzig und allein, weil sie sich wiedererkennen wollen – eine selbsterfüllende Prophezeiung also. Wer glaubt, dass die Blutgruppe den Charakter bestimmt, ist auch in gewisser Weise überzeugt, dass man von der Persönlichkeit auf den Bluttypen schließen kann. Dass viele Nichtjapaner ihre Blutgruppe gar nicht kennen, trifft demnach auf große Überraschung aufseiten der Japaner.

Von außen betrachtet scheint die Blutgruppentheorie in Japan nichts weiter als eine unterhaltende Modeerscheinung zu sein, doch in Wissenschaftskreisen wird sie generell als Pseudowissenschaft und Hokuspokus abgetan, die nicht selten von einem Gefahrenpotential begleitet wird. Ein unerklärliches Extrem, wenn man bedenkt, dass Blutgruppen einzig und allein durch die Proteine in unserem Blut bestimmt werden.

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