Wenn die meisten Menschen den Namen Hayao Miyazaki hören, denken sie wahrscheinlich an Anime-Klassiker wie „Chihiros Reise ins Zauberland” oder sein neuestes Werk „Der Junge und der Reiher”. Doch die Fähigkeiten des Gründers von Studio Ghibli beschränken sich nicht nur auf den animierten Bereich. Eigentlich hatte er nämlich nie geplant, Animator und Filmregisseur zu werden – ursprünglich wollte er Manga-Zeichner werden. Der Eintritt in die Industrie war jedoch schwierig, und so entschied er sich, in die Animationsbranche einzusteigen. Seine Karriere startete in 1963 bei Toei Animation, wo er als Trickfilmzeichner an Studio Toei’s ersten Anime-Serie „Ōkami Shōnen Ken” (dt. „Wolf Boy Ken“) arbeitete. Erst 1969, während der Arbeit an „Perix der Kater und die drei Mausketiere”, veröffentlichte Miyazaki einen Manga. Obwohl dieser nur zu Werbezwecken diente, gab er seinen Traum nicht auf und zeichnete über die Jahre hinweg weiter.
Shunas Reise ist Miyazaki’s sechstes Manga und basiert auf dem alten tibetischen Märchen „Der Prinz, der sich in einen Hund verwandelte”, indem ein Prinz sich auf die Reise macht, um Nahrung für sein verhungerndes Volk zu finden. Ursprünglich wollte Miyazaki die Geschichte als Zeichentrickfilm umsetzen. Doch weder in Japan noch in China fand sich ein Produzent – stattdessen wurde sie vom Verlag „Tokuma“ als Buch realisiert.

Alleine in einer riesigen Welt
Als Protagonist für Miyazakis Adaption dient Shuna, der junge Prinz eines zwischen Gletschern begrabenen Dorfs, der sich auf die Reise macht, nachdem ein mysteriöser Reisender ihm von einem Ort erzählt, in dem goldene Samen wachsen, die sein Volk von dem Hunger befreien könnten. Reitend auf seinem Yakkul, einem elch-ähnlichen Tier, gerät Shuna in Konflikt mit Sklavenhändlern, trifft auf Fantasiewesen und durchquert Gebiete, die von Giganten beherrscht werden.
Von der Thematik ähnelt die Erzählung und Geschichte von Shunas Reise stark „Nausicaä”, Miyazakis erster Film. Ein armes abgeschottetes Tal, indem ein junger Revolutionär, der die Traditionen zwar nicht ablehnt, aber einsieht, dass die alten Einwohner zu „konservativ” sind, macht sich auf die Reise, um sein Volk vor dem Ruin zu bewahren. Die Welt außerhalb des Tals ist alles andere als idyllisch. Riesige, gefährliche Monster schwärmen überall und die wenigen Menschen, die erscheinen, sind oft unbarmherzig und eigennützig. Aber nicht alles ist schlecht: In der riesigen überwältigenden Welt lassen sich auch gute Aspekte finden. Oft erscheinen diese als junge unschuldige Kinder, kleine abgetrennte Völker oder auch die Natur, die allgegenwärtig in Miyazakis Werken ist.
Eine einzigartige Erzählweise
Was Shunas Reise jedoch von anderen Manga und Animes abgrenzt, ist der einzigartige Stil von Miyazaki. Seiten in Manga bestehen meistens aus mehreren „Panels” und sind in Schwarz-Weiß gezeichnet. Shunas Reise hingegen besteht hauptsächlich aus nur ein bis drei Panels pro Seite und ist vollkommen in Farbe gezeichnet. Weiterhin gibt es fast keine Sprechblasen, stattdessen steht der Text meistens in oder neben den Illustrationen. Miyazaki verstößt bewusst gegen jegliche Konventionen und kreiert eine Story, die nicht auf den Dialog fokussiert ist, sondern auf die Reise selbst. Nicht nur Kreaturen und Menschen bleiben ungeklärt, sondern die gesamte Welt, in der die Geschichte spielt, ist uns unbekannt. Es ist fast so, als würden wir selbst Shuna sein und mit ihm in eine unbekannte riesige Welt eintauchen.
Fazit
Shunas Reise ist alles andere als ein gewöhnlicher Manga. Miyazaki erzählt eine Geschichte durch wundervolle Illustrationen, die für sich selbst sprechen, und lässt den Text im Hintergrund stehen. Ähnlich wie seine Zeichentrickfilme fließt die Geschichte vor den Augen des Lesers vorbei und man wird in die anziehende Traumwelt gezogen.

Shunas Reise
von Hayao Miyazaki
Erschienen im September 2023 (1. Auflage) beim Verlag Reprodukt.
Hardcover, 160 Seiten (20 Euro)
ISBN: 978-3-95640-395-8
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