Japan - mit dem zug von Nord nach Süd 19-Tage-Studienreise

Olympia in Tōkyō im Spiegel der Geschichte

Alena Eckelmann
Alena Eckelmann

Nach einem Jahr Verzögerung aufgrund der Corona-Pandemie starteten - wenn auch nicht unumstritten- am 23. Juli 2021 die Olympischen Sommerspiele in Tōkyō. Ein guter Zeitpunkt, um sich die ersten von der japanischen Hauptstadt ausgerichteten Spiele im Jahre 1964 anzuschauen und zu vergleichen.

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11. Oktober 1964: Der 19-jährige Sakai Yoshinori entzündet die olympische Flamme bei den Olympischen Sommerspielen in Tōkyō. © Keystone Press / Alamy Stock Photo

Ein kleines unscheinbares, in Leinen gebundenes Buch mit dem Titel „Olympia 1964“ auf dem Buchrücken ist mir Anfang dieses Jahres beim Durchstöbern alter Bücher im Haus meiner Eltern in die Hände gefallen. Während meiner Kindheit in der ehemaligen DDR ist mir das Buch nie aufgefallen, aber im Vorfeld der diesjährigen Sommerspiele in Tōkyō erschien es mir plötzlich interessant und so habe ich es dem übervollen Bücherregal entnommen und aufgeschlagen.

Ich erfuhr, dass das Buch als Sonderausgabe im Jahr 1965 vom „Sportverlag Berlin“ in Ostdeutschland veröffentlicht wurde. Ich las kursiv zahlreiche Berichte von den profiliertesten langjährigen Sportreportern der ehemaligen DDR. Kaum zu glauben, aber sie waren 1964 in Tōkyō: Mit den Sportlerinnen und Sportlern aus dem Osten Deutschlands waren sie damals als Augenzeugen bei den ersten Olympischen Sommerspielen in Japan mit dabei. 

Das Buch hat mich neugierig gemacht und so bin ich im Internet auf Faktensuche gegangen. Die Olympiade damals und die Olympiade heute, in der Hauptstadt Japans – was ist aus deutscher Sicht trotz der Corona-Pandemie als Schatten über den Spielen interessant?

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Japan und Olympia im Überblick

Das Japanische Olympische Komitee wurde 1911 gegründet, seit 1912 nahm Japan an den Sommerspielen und seit 1928 auch regelmäßig an den Winterspielen teil, abgesehen von der offiziellen 12-jährigen Olympia-Pause von 1936 bis 1948 aufgrund des Zweiten Weltkrieges.

Japan hat auch in den ersten Spielen danach, den Sommerspielen in London und den Winterspielen in St. Moritz im Jahr 1948, nicht teilgenommen: Es wurde, wie auch Deutschland, aufgrund der Rolle im Zweiten Weltkrieg zu keinem der Wettbewerbe in jenem Jahr eingeladen. Beide Länder wurden für einige Jahre von der internationalen Gemeinschaft geächtet und durften erst wieder 1952 antreten. Außerdem hat Japan den Boykott der Sommerspiele 1980 in Moskau durch die USA, im Zuge des Kalten Krieges, unterstützt und ebenfalls nicht teilgenommen.

2021 lädt Japan bereits zum zweiten Mal zu den Sommerspielen ein, 1964 richtete es (als erstes asiatisches Land überhaupt) die Sommerspiele erstmals aus. Darüber hinaus fanden auch die Winterspiele bereits zweimal in Japan statt, nämlich 1972 in Sapporo und 1998 in Nagano. 

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Die Medaillen-Spitzenreiter von 1964

Wussten sie, dass von 1956 bis 1964 Sportler aus der BRD und der DDR als gesamtdeutsche Mannschaft sechsmal an den Olympischen Sommer- und Winterspielen teilnahmen? Der letzte gemeinsame Auftritt war bei den Sommerspielen 1964 in Tōkyō. Dann ging es erst wieder als vereintes Deutschland zu den Sommerspielen 1992 in Barcelona.

Die japanischen Athleten gewannen 1964 mehr Goldmedaillen als das deutsch-deutsche Team (16 zu 10), was Japan auf Rang 3 brachte, dafür aber bedeutend weniger Silber- (5 zu 22) und Bronzemedaillen (8 zu 18). Fünf Goldmedaillen allein gingen an die japanischen Ringer, die für die westlichen Beobachter zu einer der großen Überraschungen der  Sommerspiele 1964 wurden. Damit fiel Deutschland mit insgesamt 50 Medaillen „nur“ auf Platz 4 der Rangliste. Die Sowjetunion lag mit insgesamt 90 Medaillen auf Platz 2, direkt hinter den USA mit 96 Medaillen auf Platz 1.

1964 und 2021 im Vergleich

An den 1964er Sommerspielen in Tōkyō nahmen insgesamt 5.140 Athleten, darunter allerdings nur 683 Frauen, aus 93 Ländern teil. Sie haben in 163 Wettkämpfen und in 19 Sportarten (25 Disziplinen) um die Olympischen Medaillen gewetteifert. Dagegen kämpfen 2021 voraussichtlich 11.500 Athleten aus 206 Ländern um die Medaillen in 33 Sportarten (55 Disziplinen). Zumindest ist die Geschlechterverteilung der Athlet*innen in diesem Jahr mit 51 % Herren und 49 % Damen beinahe ausgeglichen.

Ein weiterer, nicht unerheblicher Unterschied zwischen den beiden japanischen Spielen ist der Zeitraum: 1964 fanden die Olympischen Spiele vom 10. bis 24. Oktober statt. Die herbstlichen Temperaturen damals waren für die Teilnehmer*innen sicherlich erträglicher als der sehr schwül-heiße Sommer Japans, der sie in diesem Jahr vom 23. Juli bis 8. August erwartet.

Im Anschluss an die Olympischen Spiele finden die Paralympischen Spiele vom 24. August bis 5. September 2021 statt. In 540 Wettkämpfen und 22 Sportarten werden sich die geschätzt 4.400 paralympischen Athleten in diesem Jahr messen. Auch 1964 gab es vom 8. bis zum 12. November Paralympische Wettkämpfe, erst zum zweiten Mal überhaupt, in denen 375 Athleten aus 21 Ländern um Medaillen in 9 Sportarten rangen.

Und noch ein großer Unterschied ist die Besetzung der Zuschauerplätze: 1964 waren die eigens für die Sommerspiele neu erbauten Stadien voll besetzt. Die DDR-Reporter notierten, dass insgesamt 1.928.326 Karten verkauft worden seien. Damit waren 96,4 Prozent aller Zuschauerplätze besetzt, was vor Tōkyō keine andere Olympiastadt vollbracht haben soll. In diesem Jahr gähnt die Leere, Corona-bedingt, auf den Zuschauertribünen.

Das National Stadium in Shinjuku, das Yoyogi National Stadium sowie das Tokyo Metropolitan Gymnasium in Shibuya wurden bereits 1964 genutzt und für Olympia 2021 umfassend renoviert. Auch das Nippon Budokan, eine Kampfsporthalle, in der normalerweise Sumō-Wettkämpfe sowie Konzerte stattfinden, ist eigens für die ersten japanischen Spiele erbaut worden und beherbergt 2021 z.B. die Judo-Wettkämpfe.

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Unbekannter Fußball

In diesem Jahr ist Fußball im Olympiaden Programm etabliert, 1964 dagegen war er eine absolute Neuheit. Die DDR-Reporter berichteten, dass auf dem Programm der Spiele Sportarten standen, die man in Japan bisher nur aus dem Kino kannte, wie zum Beispiel den in Deutschland beliebten Fußball. War das der Beginn des Triumphzuges vom Fußball in Japan?

Die DDR-Fußballmannschaft, die die innerdeutsche Qualifikationsrunde gewann und damit die gesamtdeutsche Mannschaft vertrat, hat dem „Nationalsport der Deutschen“ schließlich alle Ehre gemacht und eine Bronzemedaille erobert. Es war das erste Mal, dass eine deutsche Auswahl eine olympische Medaille im Fußball gewann.

Olympia den Athleten

Die Olympischen Spiele schreiben Sportgeschichte, aber sie sind eingebettet in den Lauf der Weltgeschichte. 1964 markierte den Beginn des Kalten Krieges, der die Welt in zwei gegensätzliche Lager trennte. 2020/21 ist es das Coronavirus, das die Welt noch viel mehr gespaltet hat. Was für die Athlet*innen damals wie heute zählt, ist jedoch der „Olympische Geist“, der seinen Ausdruck im Olympischen Credo findet. Wird er sich auch unter den diesjährigen Umständen bewähren?

„Das Wichtigste bei den Olympischen Spielen ist nicht zu gewinnen, sondern teilzunehmen, so wie das Wichtigste im Leben nicht der Triumph, sondern die Bemühung ist. Wichtiger als der Sieg ist es, gut gekämpft zu haben.“ (Pierre de Frédy, Baron de Coubertin, Vater der Olympischen Spiele)

Nach der Eröffnung der 1964er Sommerspiele ging das Bild des 19-jährigen japanischen Fackelträgers, Sakai Yoshinori um die Welt. In einem Interview wünschte er sich, dass sich alle Gäste in Tōkyō wohl fühlen und die olympische Idee in Japan einen Triumph feiern würde. Damals hat sich der Wunsch erfüllt und es bleibt zu hoffen, dass der Olympische Geist auch im Tōkyō von 2021 siegen wird.

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