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Deutsch-Japanische Familien: Eine kurze Betriebsanleitung

Matthias Reich
Matthias Reich

Partnerschaften oder Familien aufzubauen bedeutet: Kompromisse eingehen, miteinander an der Beziehung arbeiten und füreinander da sein. Wie sieht das ganze aus, wenn die Partner aus unterschiedlichen Kulturkreisen stammen? Unser Autor berichtet von seinen Erfahrungen in Japan.

close-up von den händen eines pärchens

Sie sind gar nicht mal so selten: Deutsch-japanische Pärchen beziehungsweise Familien. Doch was bedeutet es genau, wenn sich zwei so unterschiedliche Kulturkreise so nahekommen? Japaner wirken auf die meisten Mitteleuropäer wie Exoten. Und anders herum sieht es genauso aus. Viele Japaner kennen sich ein bisschen mit amerikanischer Kultur aus, doch bei europäischer Kultur hört das Wissen meistens auf. Mit anderen Worten: Es gibt viel zu erkunden, und viel zu beachten. Ein kleines ABC des japanisch-deutschen Miteinanders.

A wie Allgemeinwissen

Was zum Allgemeinwissen zählt, ist in beiden Kulturkreisen ziemlich unterschiedlich, allein schon aufgrund unterschiedlicher Bildungssysteme und Medien. Ein “was, das kennst Du nicht?” sollte man deshalb lieber nicht allzu oft benutzen.

B wie Benehmen

Gutes Benehmen ist in Japan extrem wichtig und alles entscheidend. Wenn man ein Geschenk bekommt, zeigt man sich auf jeden Fall mit einem Gegengeschenk erkenntlich – nur als Beispiel. Da sollte man auch nicht viel darüber diskutieren, sondern es akzeptieren, wie es ist.

C wie Christentum

Ostern, Weihnachten & Co. sind in Japan nur sinnentleerte Feiertage unter vielen. Weihnachtsfans werden da ihre liebe Not haben, aber da man muss man eben durch. Dafür kommen ja ein paar interessante japanische Feiertage hinzu.

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D wie Diskussion

Man liebt sie in Deutschland – ob ernst oder spaßig. Es wird diskutiert, bis die Schwarte kracht. Diese Diskussionskultur wirkt auf Japaner nicht selten befremdlich. Deshalb: Lieber nicht auf Biegen und Brechen diskutieren, und möglichst schnell verstehen lernen, wie unterschiedliche Meinungen in Japan geregelt werden.

E wie Esskultur

Für viele Mitteleuropäer eher Mittel zum Zweck, ist die japanische Esskultur der rote Faden im Leben der Menschen. Und: Hauptsache, es gibt Reis dazu. Die Kompromissfindung kann Spaß machen, aber auch anstrengend sein. Natürlich sollte man die Esskultur des Partners akzeptieren – darf das gleiche aber auch getrost vom Partner einfordern.

F wie Freunde

Es ist in Japan wesentlich schwerer, gute Freunde zu finden – das liegt unter anderem an der Arbeitskultur. Dementsprechend ist es auch weniger üblich, nach der Hochzeit mit Freunden um die Blöcke zu ziehen – oder mit befreundeten Paaren zusammen etwas zu unternehmen. Das fällt nicht wenigen Deutschen durchaus schwer.

G wie Gesundheit

Sicher, Gesundheit streben alle an. Die Art und Weise, wie man das macht, ist dabei recht unterschiedlich: In Japan ist man auf Low-alles fixiert, in Deutschland hingegen eher vegetarisch bis vegan – weitestgehend Fremdwörter in Japan. Auch an die Masken und das exzessive Sterilisieren von allem muss man sich erstmal gewöhnen.

H wie Humor

Entgegen anderslautenden Gerüchten gibt es durchaus Humor in Japan. Der fällt jedoch sehr, sehr anders aus. Mit einer deutschen Witzesammlung, und sei sie noch so gut übersetzt, braucht man da gar nicht erst ankommen.

I wie Ironie

Und wo wir gerade beim Humor sind: Ironie, Häme und Sarkasmus gibt’s nicht. Basta. Ironische Spitzen gehen da ganz schnell nach hinten los, egal ob man sie auf Deutsch von sich gibt oder auf Japanisch.

J wie Jottweedee

In einer japanisch-deutschen Beziehung lebt mindestens einer der Partner “Jottweedee” (also “janz weit draußen”). Das sollte man nie vergessen. So man nicht zusammen außerhalb wohnt, hat also einer der beiden ein Heimspiel – weshalb der gegnerischen Mannschaft ein kleiner Bonus eingeräumt werden sollte.

K wie Kinder

Auch bei der Erziehung gibt es grundlegende Verschiedenheiten – und das heißt, dass man gemeinsam nach Kompromissen suchen muss. Ungewohnt ist für Deutsche zum Beispiel, dass die Kinder jahrelang im Bett der Eltern schlafen dürfen. Oder das Kinder bereits mit 10 Jahren bis spät in den Abend büffeln.

deutsch-japanische familie

L wie Liebesbekundungen

In Japan sind öffentliche Liebesbekundungen noch immer ziemlich verpönt, und das sorgt dafür, dass sich viele Japaner in dem Bereich genieren. Händchen halten geht meistens noch, in der Öffentlichkeit küssen hingegen ist für die meisten schon tabu.

M wie Meinung

Jeder hat eine Meinung – doch in Japan hält man mit selbiger gern hinterm Berg, während man diese in Deutschland gern hinausposaunt. Das führt schnell zu Missverständnissen: Bloß weil jemand seine Meinung nicht umgehend herauskrakeelt, bedeutet das noch lange nicht, dass derjenige keine Meinung hat.

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N wie Neurose

Obwohl Japan eines der sichersten und gesündesten Länder der Welt ist, entwickeln nicht wenige Bewohner eine regelrechte Neurose aufgrund diverser Ängste. Gerne möchte man da mal “Bleib doch einfach mal locker!” rufen.

O wie Offenheit

Offenheit ist eine gefragte Eigenschaft, doch wer sich mit Japanern “einlässt”, sollte zumindest vom “Tatemae” und “Honne” einmal gehört haben, denn es gibt verschiedene Möglichkeiten, “Ja” und “Nein” auszudrücken. Das kann man auf die schmerzhafte Art (böse Missverständnisse) oder die leichtere Art (man liest sich ein bisschen an) lernen.

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P wie Pünktlichkeit

Deutsche gelten weltweit als pünktlich. Außer in Japan. Die sehr reelle Unpünktlichkeit der Deutschen (und ihrer Systeme, siehe Deutsche Bahn) treibt Japaner regelmäßig zur Weißglut. Pünktlich bedeutet in Japan nicht “nur ein paar Minuten zu spät”, sondern eben auf den Punkt genau pünktlich. Egal ob bei privaten oder beruflichen Verabredungen.

Q wie Qualität

Siehe Pünktlichkeit. Japaner haben sehr hohe Qualitätsansprüche und kein Problem damit, qualitative Mängel lauthals zu beklagen.

R wie Religion

Nicht nur für deutsch-japanische Paare gilt: Gerade bei der Religion ist Toleranz wichtig. Doch Vorsicht: Japan ist in Sachen seltsamer Sekten toleranter als Deutschland – und bei Sekten ist generell Vorsicht geboten. Großes Tabu: Eine “meine Religion ist besser als Deine”-Debatte.

S wie Schwiegermutter

Was in anderen Kulturkreisen der Teufel, ist in Japan die Schwiegermutter. Vor der haben – vor allem Ehefrauen – richtig Angst, ob sie nun begründet ist oder nicht. Etwaige Befürchtungen sollten deshalb adäquat adressiert werden.

T wie Traditionen

Hüben wie drüben gibt es verschiedene Traditionen, und bei manchen muss man Kompromisse machen. Frühjahrsputz (Deutschland) oder Großreinemachen vor Neujahr (Japan)? “Gesundheit” nach dem Niesen oder pikiertes Schweigen? Weihnachten bei Kentucky Fried Chicken oder… richtig? Eine Melange im Sinne von “best of both worlds” ist da am besten.

U wie Urlaub

Gerade wenn der männliche Partner aus Japan kommt, ist das ein leidiges Thema. Mit dem “eigentlich habe ich ja Urlaubstage” und der Realität (“… ich kann jetzt wirklich nicht weg”) haben viele, berechtigterweise, so ihre Probleme, denn gerade Deutsche wissen: Urlaub ist wichtig.

V wie Verständigung

Mit der Verständigung hapert es selbst bei vielen Paaren, die die gleiche Sprache sprechen. Sprechen beide eine andere Sprache, weicht man entweder auf eine Drittsprache, Englisch zum Beispiel, aus oder macht sich besser daran, die Sprache so gut wie möglich, und mit allen Nuancen, zu erlernen. Natürlich bleiben jedoch ein paar Tretminen, siehe “I” weiter oben.

W wie Weltanschauung

Natürlich gibt es auch bei der Weltanschauung große Unterschiede, aber viele Paare kommen sich entweder deshalb näher, oder die Weltanschauung färbt im Laufe der Jahre ab. Bei japanisch-deutschen Paaren gibt es da auf beiden Seiten ein paar interessante Augenöffner, zum Beispiel in der Anschauung darüber, wie man am besten miteinander lebt.

X wie Xenophobie

In Deutschland hier und da sehr präsent, in Japan konsequent latent: Die Angst vor dem Fremden (und den Fremden) ist in Japan groß, äußert sich aber anders. Weltoffene Menschen geraten da hin und wieder stark ins Staunen.

Y wie Yada!

Ruft der Partner auf Japanisch “Yada!” (Eigentlich “iya da“), ist die rote Linie erreicht. Bis hier hin und nicht weiter! (Ein passendes deutsches Wort mit “Y” war leider gerade nicht parat)

Z wie Ziele

Während die meisten Deutschen ganz locker eine Beziehung angehen, meinen es die meisten Japaner (vor allem Japanerinnen, sollte man dazu sagen) von Anfang an ernst. Die wenigsten sind auf der Suche nach einer flüchtigen Beziehung, sondern nach einem potentiellen Heiratskandidaten. Bewegt sich die Beziehung innerhalb von ein paar Jahren nicht in diese Richtung, wird auch mal die Reißleine gezogen. Dessen sollten sich vor allem deutsche Männer bewusst sein.

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