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Coronavirus: Die ganze Welt impft – außer Japan

Matthias Reich
Matthias Reich

In Japan sollen die ersten Impfungen gegen COVID-19 deutlich später stattfinden als in anderen Ländern. Grund für das Zögern ist auch eine nicht unbegründete Skepsis in der Bevölkerung.

Drei Glasfläschchen mit Corona-Impfstoff

Der japanische Impfplan lässt sich schnell zusammenfassen und erweckt unweigerlich den Eindruck, dass die Politik geschlafen hat: Die ersten Impfungen sollen frühestens Ende Februar beginnen, wobei in den ersten drei Monaten hauptsächlich hoch Gefährdete wie Krankenhauspersonal sowie Hochbetagte geimpft werden sollen. Alle anderen können demnach frühestens im Mai auf eine Impfung hoffen, wobei man davon ausgeht, dass die Impfung all derer, die auch wirklich dazu bereit sind, frühestens im Herbst abgeschlossen werden kann – also lange nach den noch immer geplanten Olympischen Sommerspielen.

Keine guten Startbedingungen

Der erste Rückschlag in Sachen Impfung kam bereits im Herbst 2020. Während Russland, China, Deutschland und die USA erste Erfolge bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffes anpriesen, musste ein Impfstoffentwickler einstecken. Offensichtlich befand man sich in einer Sackgasse, denn bereits die allerersten Tests wiesen auf schwere Nebenwirkungen hin. Die Forschung wurde daraufhin quasi eingestellt – japanische Pharmaunternehmen konzentrierten sich nun ausschließlich auf die Erforschung und Entwicklung therapeutischer Mittel. Das verlorene Rennen um den Impfstoff offenbarte dabei, dass die pharmazeutische Infrastruktur zur Entwicklung und zum Testen von Impfstoffen unzureichend ist.

Universitätskrankenhaus der Hl. Mariana in Kawasaki
Universitätskrankenhaus der Hl. Mariana in Kawasaki. Das Krankenhaus hat in der Erforschung und Behandlung des Corona-Virus eine Vorreiterrolle in Japan eingenommen.

Das allein erklärt jedoch nicht, warum Japan so viel später mit den Impfungen beginnt, und hier wird es kompliziert – denn jeder Erklärungsversuch von Politik und Medien ist potenziell nur ein Versuch, ein zögerliches Handeln seitens der Politik zu entschuldigen. Doch es gibt in der Tat ein paar wichtige Argumente, die die verspätete Reaktion erklären.

Weitreichende Skepsis

Die bedeutendste Erklärung ist dabei die Akzeptanz der Bevölkerung. Je hektischer ein Impfstoff zugelassen und verimpft wird, desto größer sind die Zweifel in der Bevölkerung. Die landläufige Meinung zum Thema lautet: Erstmal die Anderen impfen lassen und sehen was passiert. Die „Anderen“ bezieht sich dabei sowohl auf Menschen als auch auf Länder. Bei diversen Umfragen zum Thema („Vorausgesetzt, dass die Corona-Impfung kostenlos ist, würden Sie sich demnächst impfen lassen?“) waren die Ergebnisse jeweils sehr konsistent – eine satte Zweidrittelmehrheit gab jeweils an abwarten zu wollen. Die Medien tragen ihren Teil zur skeptischen Haltung bei: Begriffe wie anaphylaktischer Schock, erstes mRNA-basiertes Vakzin, intramuskuläre Injektion (in Japan eher eine Seltenheit) machen dabei die Runde und nähren die skeptische Haltung.

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Ein weiterer Punkt, der oft bemängelt wird, ist die Tatsache, dass die im Westen zugelassenen Impfstoffe hauptsächlich an “Weißen” getestet wurden und weniger an Ostasiaten. Dementsprechend gäbe es keine gesicherten Daten über die Nebenwirkungen bei Japanern. Dieses Argument ist nicht einfach zu entkräften – der Gedanke, dass Wirkung und Nebenwirkung bei einem 150 Kilogramm schweren Amerikaner und einer 40 Kilogramm wiegenden, japanischen Greisin exakt gleich sein sollen, ist schwer vorstellbar.

Medizinskandale sorgen für Unruhe

Die Skepsis wird zudem verstärkt durch diverse Medizinskandale. Der jüngste Skandal betraf die vor weniger als 10 Jahren eingeführte HPV-Impfung junger Frauen als Vorsorge gegen Gebärmutterhalskrebs: Die Impfung wird auch vom Gesundheitsministerium empfohlen, und bisher wurden mehr als 3 Millionen Japanerinnen geimpft. Doch in rund 2.500 Fällen kam es zu spürbaren Nebenwirkungen und in 186 Fällen zu bleibenden Schäden – drei Geimpfte sind sogar gestorben. Der prozentuale Anteil erscheint zwar sehr klein, aber der Gedanke, dass die eigene Tochter wegen einer Impfung bleibende Schäden davontragen oder gar sterben könnte, sorgt für viel Unruhe – und ebenso Gerüchte. Im konkreten Fall gab es zahlreiche Klagen gegen den Hersteller und das Ministerium – das möchte man bei der Corona-Impfung lieber vermeiden.

Fehlende Dringlichkeit

Ein weiterer Faktor für die verzögerten Impfungen und dem zögerlichen Verhalten der Japaner ist freilich auch in der fehlenden Dringlichkeit zu suchen: Einen echten Lockdown hatte Japan zu keiner Zeit, und die Infektionszahlen lagen zu fast jedem Zeitpunkt weit unter denen europäischer oder amerikanischer Länder. Eine voreilige Massenimpfung erscheint da vielen Menschen als nicht gerechtfertigt. Das wird sich natürlich ändern – sollten Länder mit Massenimpfungen positive Ergebnisse aufweisen, werden auch in Japan die Stimmen nach einer Beschleunigung der Impfungen lauter werden.

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