Zwischen Krise und Aufbruch: Top 5 japanischer Filme der 2010er

Vanessa Aura
Vanessa Aura

Die 2010er brachten große Gefühle und starke Bilder: Fünf Filme zeigen, wie Japan über Familie, Freundschaft und Verantwortung erzählte – mal leise, mal laut. Vom Anime-Welthit bis zum Indie-Liebling. Eine Dekade, die Herzen gewann und Gespräche anstieß.

In Shinjuku erhebt sich ein lebensgroßer Godzilla-Kopf über den Dächern – eine populäre Attraktion und Fotospot im Herzen von Tōkyō. © danieldep / iStock

Nach den suchenden 2000ern formte eine Dekade voller Gegensätze das japanische Kino neu: unsichere Jobs, knappe Kassen und die Folgen großer Katastrophen trafen auf viel Kreativität und einen weltweiten Anime-Boom. Viele Filme schauten genauer hin: Wie fühlt sich Familie an? Wie reagieren Behörden auf Krisen? Wie prägen Smartphones und soziale Medien unseren Alltag? Neben großen Studio-Produktionen blieben auch kleine Indie-Filme wichtig, die durch Erfindungsgeist und Humor hervorstachen. Diese fünf Titel stehen für die Bandbreite der 2010er.

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„Shoplifters – Familienbande“ (万引き家族, 2018) – Regie: Koreeda Hirokazu

Familiendrama / Sozialdrama

Koreeda beobachtet eine Wahlfamilie am Rand der Metropole, die in beengten und schwierigen Verhältnissen lebt und doch zusammenhält. Er fragt, was „Familie“ im heutigen Japan bedeutet: Blutsverwandtschaft oder Fürsorge? Ohne Pathos und mit großer Wärme macht der Film Kinderarmut, prekäres Arbeiten, soziale Unsichtbarkeit und die Perspektive der Behörden greifbar. Shoplifters ist berührend, menschlich und lange nachwirkend.

„Your Name“ (君の名は, 2016) – Regie: Shinkai Makoto

Anime / Fantasy & Jugenddrama

Körpertausch, Komet, Erinnerung: Shinkai Makoto komponiert eine Romanze, die zwischen Mitsuhas Provinzalltag und Takis urbaner Welt in Tōkyō Brücken schlägt und dabei eine Generation porträtiert, die digital aufgewachsen ist und dennoch nach kizuna – Bindungen – sucht. Zwischen Komik und Melancholie entsteht ein modernes Märchen über Nähe über Zeit und Raum hinweg; eindrucksvoll animiert, zugleich erstaunlich alltagstauglich in seinen Figuren. Der Welterfolg zeigt, wie Sehnsucht, Erinnerung und erste Liebe heute erzählt werden: romantisch, witzig, mit großem Tempo, leuchtenden Bildern und dramatischer Musik von RADWIMPS.

Die Treppen des Suga-Schreins in Tōkyō sind durch den Anime Kimi no Na wa weltbekannt geworden und ziehen Fans aus aller Welt an. © Sanga Park / iStock

„Shin Godzilla“ (シン・ゴジラ, 2016) – Regie: Anno Hideaki & Higuchi Shinji

Katastrophenfilm / Satire / Kaijū

Ein unbekanntes Monster taucht in der Tōkyō-Bucht auf, schiebt sich erst durch Kanäle, wächst rasant und steht wenig später als aufrechter Gigant vor der Stadt. Aus einer improvisierten Evakuierung wird ein nationaler Notfall: Sitzungen, Pressetermine, Zuständigkeitschaos. Als Godzilla seine violette Hitzestrahl-Attacke entfesselt und ganze Viertel verwüstet, bricht die Führungsspitze zusammen. Ein junger Staatssekretär stellt daraufhin ein interdisziplinäres Team zusammen. Die Forschenden erkennen: Godzilla erzeugt Energie wie ein Reaktor. Rohe Gewalt hilft kaum. Der Plan „Yashiori“ setzt deshalb auf Köpfchen: Züge mit Sprengladungen bringen das Monster ins Wanken, danach pumpen Einsatztrupps ein Gerinnungsmittel in sein Maul – Godzilla erstarrt mitten im Brüllen. Der Film verbindet Monster-Action mit beißender Behörden-Satire und stellt eine einfache Frage: Wer übernimmt Verantwortung, wenn die üblichen Regeln nicht mehr reichen? Der letzte Blick auf den erstarrten Schwanz – mit seltsam menschlichen Formen – lässt offen, ob die Gefahr wirklich gebannt ist.

„Confessions“ (告白, 2010) – Regie: Nakashima Tetsuya

Thriller / Schuldrama

Eine Lehrerin erklärt vor ihrer Klasse ruhig: Ihre Tochter ist tot – zwei Schüler sind schuld. Sie kündigt Rache an, und die Welt der Klasse kippt. Was folgt, erzählt der Film aus wechselnden Blickwinkeln: Gerüchte, Mobbing, Social-Media-Druck, verletzte Egos. Aussagen widersprechen einander, bis ein düsteres Finale alle zur Verantwortung zwingt. Mit präzisen Kompositionen, kühlen Farben und hypnotischem Rhythmus zeigt Nakashima, wie Moral unter Gruppendruck bröckelt – einer der eindringlichsten Thriller der 2010er über die Grauzonen jugendlicher Unschuld.

„One Cut of the Dead“ (カメラを止めるな!, 2017) – Regie: Ueda Shin’ichirō

Indie‑Komödie / Meta‑Horror

Ein 37-minütiger One-Take eröffnet ein scheinbar chaotisches Zombiefilm-Set. Dann der Clou: Der zweite Teil zeigt die Crew hinter den Kulissen – und erklärt, warum zuvor alles aus dem Ruder lief. Aus Pannen werden Pointen, aus Stress wird Teamgeist. Das Low-Budget-Projekt ist eine liebevolle Liebeserklärung ans Filmemachen; aus einer B-Movie-Prämisse wurde ein echter Publikumsliebling. Er ist ein Beweis dafür, wie kreativ das japanische Kino der 2010er war.

Weitere sehenswerte Filme der 2010er Jahre

Neben den Top 5 lohnt sich ein Blick auf leise Familiengeschichten wie Like Father, Like Son (そして父になる, 2013), Our Little Sister (海街diary, 2015) und I Wish (奇跡, 2011). Im Anime setzten A Silent Voice (聲の形, 2016), In This Corner of the World (この世界の片隅に,  2016), Wolf Children (おおかみこどもの雨と雪, 2012) und Weathering With You (天気の子, 2019) starke Akzente. Zwischen Arthouse und Genre glänzen The Great Passage (舟を編む, 2013), The Light Shines Only There (そこのみにて光輝く, 2014), Harmonium (淵に立つ, 2016) sowie 13 Assassins (十三人の刺客, 2010).

Fazit: Nähe, Krisen und neue Reichweiten

Die 2010er vereinen drei Linien: intime Sozialdramen über Familie, Arbeit und Zugehörigkeit; die Verarbeitung von Krisen, die Institutionen und Verantwortung prüft; und eine Animationshandschrift, die Generationen verbindet und weltweit Resonanz findet. Dass ein Indie-Film wie One Cut of the Dead neben einem Welterfolg wie Your Name. bestehen kann, zeigt die Spannweite dieser Dekade – Kino, das empathisch erzählt, Risiken eingeht und zugleich lokal verwurzelt und weltweit verständlich ist.

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