Gouverneurswahl 2020 in Tōkyō: Der Stimmungstest

Matthias Reich
Matthias Reich

Alle 4 Jahre werden die Tōkyōter dazu aufgerufen, ein neues Oberhaupt zu wählen. Die Gouverneurswahl liegt immer im besonderen Fokus, schließlich geht es um den Vorsitz in der Hauptstadt. Das Hauptthema war dabei die Corona-Pandemie nebst wirtschaftlichen Folgen.

05. Juli 2020: Teenager schauen auf Wahlplakete verschiedener Kandidaten in Tokyo.
Teenager schauen sich am Wahltag (05. Juli 2020) Wahlplakate der verschiedenen Gouverneurs-Kandidaten in Tōkyō an. © SOPA Images/SIPA USA/PA Images

Wahlzeit in Tōkyō. Plärrende Lautsprecherwagen zogen zwei Wochen lang durch die Straßen, und weißbehandschuhte Kandidaten winkten und schüttelten Hände vom Morgen bis spät in die Nacht. Aufgrund von Corona hielt man sich mit letzterem natürlich eher zurück. In diesem Jahr trat die Amtsinhaberin Koike Yuriko gegen 22 Kandidaten an, deren Altersdurchschnitt bemerkenswerterweise unter 50 Jahre lag. Es war bislang Koikes erste Amtszeit, und in der hatte sie durchaus viel zu tun. Erst musste sie den gordischen Knoten um den Umzug des Fischmarktes nach Toyosu irgendwie lösen, danach ging es munter mit der Vorbereitung der Olympischen Sommerspiele weiter – die wiederum abrupt durch die Corona-Pandemie unterbrochen wurde. Da Tōkyō logischerweise nicht nur in Sachen Wirtschaft, Politik und Kultur, sondern auch in punkto Corona-Infektionen die Nummer Eins im Land ist, gab es für Koike besonders viel zu tun, denn die Mittel sind begrenzt: Die japanische Verfassung verbietet der Politik, die Persönlichkeitsrechte der Menschen so einzuschränken, wie es bei den Lockdowns in Europa geschah. Und was die Zentralregierung nicht darf, darf die Kommunalpolitik natürlich auch nicht. Koike musste also die richtigen Worte finden, die Bevölkerung zu animieren, mit ihr an einem Strang zu ziehen.

Tokyoter Gouverneurin Koike Yuriko bei einer Pressekonferenz zur Corona-Pandemie
Die amtierende Gouverneurin Koike Yuriko bei einer Pressekonferenz zur COVID-19-Pandemie in Tōkyō Mitte Juli 2020. © Rodrigo Reyes Marin/Zuma Press/PA Images

Illustre Gegner für Koike bei den Wahlen

Unter den Mitbewerbern befanden sich auch ein paar, nennen wir sie mal euphemistisch „schillernde Persönlichkeiten“ – zum Beispiel Sakurai Makoto, der ultranationalistische Gründer der extrem koreafeindlichen Zaitokukai, oder Tachibana Takashi, Vorsitzender der am 25. Mai 2020 gegründeten und damit nagelneuen „Horiemon-Partei”. Horiemon ist der Spitzname des 1972 geborenen Horie Takafumi, einem illustren Vertreter der New Economy, der um die Jahrtausendwende mit dem Unternehmen Livedoor hoch hinaufstieg – und im Jahr 2006 tief fiel, als er wegen Insidergeschäften festgenommen und letztendlich zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt wurde. Tachibana ist zugleich Chef der „N国“ (N-Koku) genannten Partei mit dem furchtbar langen, offiziellen Namen “Partei zum Schutze des Volkes vor der NHK”. NHK ist die öffentlich-rechtliche Medienanstalt Japans, für die, genau wie in Deutschland, jeder Einwohner Gebühren zahlen muss.

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Vor allem die Horiemon-Partei, aber auch ein paar andere unabhängige Kandidaten versuchten, mit der Corona-Müdigkeit zu punkten – saftige Slogans à la Trump oder Bolsonaro wie „Corona ist nur eine Erkältung“ gab es da zu lesen. Doch so viel stand bereits vor der Wahl fest: Zwar gibt es in der Tat Japaner, vor allem in den Großstädten, die von Corona nichts wissen wollen oder einfach genug davon haben, doch die überwiegende Mehrheit steht hinter den Maßnahmen – oder ist gar der Meinung, dass die bisherigen Maßnahmen nicht ausreichen. Koike positionierte sich dabei mehrfach als Ruferin in der Wüste, indem sie öffentlich die staatlichen Maßnahmen als nicht ausreichend kritisierte. Mehr als ihre Meinung kundtun kann sie dabei nicht, denn die Gouverneure haben keinen Einfluss auf die Regierung.

Klarer Sieg für Koike

Das Ergebnis: Mit 59,7 % fuhr sie das sechstbeste Resultat der Wahlen in Tōkyō ein – eine solide Mehrheit, die zwar nicht bedeutet, dass 60 % der Hauptstädter unbedingt zufrieden mit ihrer Arbeit sind, aber es bedeutet auf jeden Fall, dass die Mehrheit keine bessere Alternative sieht. Der Zweitplatzierte lag mit knapp 14 % weit abgeschlagen, und Sakurai kam gerade Mal auf 2,9 % sowie Tachibana auf vernachlässigbare 0,7 %.
Tōkyō tat wahrscheinlich gut daran, Koike wiederzuwählen – sie ist seriös, integer und bisher frei von Skandalen. Damit ist sie die richtige Person, Tōkyō durch die コロナ禍 (korona-ka) – das “Corona-Unglück” – zu führen und die hoffentlich im nächsten Jahr angesetzten Olympischen Spiele vorzubereiten.

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