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Matahara: Das Schwangerschaftsproblem

Christiane Süßel
Christiane Süßel

In Japan haben Schwangere und junge Mütter noch immer mit Diskriminierung am Arbeitsplatz zu kämpfen. Unsere Autorin erklärt Ihnen, was hinter dem Phänomen "matahara" (maternity harassment) steckt.

Bauch einer Schwangeren
© *you / pakutaso

Es gibt Länder, in denen sind Kinder – auch politisch – gern gesehen. Japan hingegen hat ein Problem mit dem Nachwuchs. Eine extrem niedrige Geburtenrate lässt die Bevölkerung nach und nach schrumpfen. Es ist absehbar, dass mit der Alterung der Gesellschaft immer mehr Arbeitskräfte fehlen. Eine niedrige Frauenerwerbstätigkeit tut ihr Übriges.

Eigentlich müsste Japan daher junge Frauen aktiv dabei unterstützen, Kinder und Beruf unter einen Hut zu bekommen. Doch stattdessen haben es schwangere Frauen immer noch schwer, ihren Arbeitsplatz zu behalten. Sie werden diskriminiert und nicht selten so lange gemobbt, bis sie diesen freiwillig zugunsten der Kindererziehung aufgeben. Das Phänomen ist unter dem Schlagwort matahara, von maternity harassment, bekannt.

Matahara Net: Kampagne für die Rechte arbeitender Mütter

Sayaka Osakabe ist das Gesicht der Kampagne Matahara Net. Die engagierte Frau setzt sich für working mothers, arbeitende Mütter, ein. Zur Gallionsfigur macht sie dabei auch ihre eigene Geschichte: Als die Redakteurin eines Magazins schwanger ist, übt ihr Chef massiven Druck auf die junge Frau aus. Er nimmt keine Rücksicht auf ihre Schwangerschaft und drängt sie, dass sie ihren Arbeitsplatz doch räumen soll. Nach zwei Fehlgeburten erbittet sie sich eine Auszeit, sollte sie noch einmal schwanger werden. Als ihr Chef ihr das verwehrt, zieht sie mit ihrem Fall vor das Arbeitsgericht und erhält im Sommer 2014 Recht. Ihr Chef muss auf ihre Schwangerschaft Rücksicht nehmen. Das Urteil wirft ein Schlaglicht auf das Phänomen, das als matahara fortan breit diskutiert wird.

Die Journalistin Sayaka Osakabe hat sich vor Gericht erfolgreich gegen matahara gewehrt. Mit Matahara Net hat sie ein Forum für gemobbte Mütter ins Leben gerufen.

Aufwind bekommt die Diskussion auch durch das Unterstützungsnetzwerk Matahara Net. Auf diesem von Osakabe gegründeten Internetportal können sich betroffene Frauen informieren und eigene Erfahrungen austauschen.

Schon kurz nach der Gründung begleitet die Vereinigung eine weitere Betroffene bei einem Verfahren vor dem höchsten Gerichtshof. Als die Richter urteilen, dass eine Degradierung aufgrund einer Schwangerschaft gegen das Gleichstellungsgesetz am Arbeitsplatz (danjokoyōkikaikintōhō 男女雇用機会均等法 ) verstößt, ist das ein großer Erfolg für Matahara Net. Für ihr Engagement erhält Osakabe 2015 den US-amerikanischen Preis „International Women of Courage“.

Gruppenfoto vom “International Women of Courage Award“ 2015
Für ihr Engagement wurde Sakaya Osakabe (4. von rechts) 2015 von Michelle Obama mit dem “International Women of Courage Award“ ausgezeichnet.

Dabei hat das Phänomen matahara unterschiedliche Gesichter. Es bezeichnet die unfaire Behandlung von Frauen sowohl physischer als auch psychischer Art, die arbeitende Frauen erfahren, sobald sie schwanger werden oder ein Kind bekommen haben. Es kann die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bedeuten, die Kündigung ihres Arbeitsvertrages oder den Druck auf die Frauen seitens Vorgesetzter oder Kollegen, freiwillig ihr Arbeitsverhältnis zu beenden.

Manche Frauen leiden so sehr, dass matahara nicht selten mit Fehl- oder Frühgeburten einhergeht. Laut einer Untersuchung des Familienministeriums aus dem Jahr 2015 hat eine von fünf festangestellten Frauen und eine von zwei entsandten Mitarbeiterinnen schon Erfahrungen mit matahara gemacht. Nicht wenige betroffene Frauen sagen, sie hätten das Gefühl bekommen, dass Schwangerschaft eine schlechte Sache sei. Wenn sie vorher gewusst hätten, was auf sie zukommt, wären sie nicht schwanger geworden.

Matahara: Diskriminierung aufgrund alter Rollenbilder

Generell herrscht in Japan noch ein altes Rollenverständnis, in dem die Männer arbeiten und die Frauen sich um Kinder und Haushalt kümmern. So verlassen rund 60 % der Frauen ihren Arbeitsplatz, wenn sie mit dem ersten Kind schwanger werden. Nur rund 40 % der Festangestellten und 4 % der Teilzeitkräfte kehren danach wieder zurück.

Es gibt dabei drei Gruppen von Frauen: 1. Frauen, die zu Hause bleiben und sich um ihre Kinder kümmern, 2. Frauen, die auf Kinder verzichten und Karriere machen und 3. Mütter, die versuchen Kind und Job zu vereinbaren.

Insbesondere diese letztgenannte Gruppe von Frauen hat es in Japan schwer, denn oft haben sie es mit Chefs zu tun, deren Ehefrauen sich ganz der Kindererziehung gewidmet haben und nicht arbeiten. Solche Chefs haben oft kein Verständnis für die Nöte arbeitender Mütter. Hinzu kommt, dass die Arbeitsrealität es in Japan vorsieht, auch spontan Überstunden zu machen. Aber arbeitende Mütter müssen ihre Kinder pünktlich aus dem Kindergarten abholen oder zu Hause bleiben, wenn diese krank sind.

Gerade auch deswegen kommt es von Seiten der Kollegen nicht selten zu Bemerkungen wie: „Du kannst dich glücklich schätzen, dass Du Dir Auszeiten nehmen kannst.“ Häufig wird den Frauen vorgeworfen, dass ihre Kollegen die Arbeit der Schwangeren mitmachen müssen. Während es auf der einen Seite Chefs gibt, die Schwangere übervorsichtig von allen Aufgaben entheben und sie so degradieren, gibt es andere, die gar keine Kompromisse machen wollen und eindeutig proklamieren, dass die Firma keine Mitarbeiter brauche, die pünktlich jeden Abend nach Hause gehen. Wieder andere sagen den Frauen von vorneherein, dass die Firma keinen Mutterschafts- und Erziehungsurlaub gewähre.

Viele erwerbstätige Mütter müssen sich in Japan gegen zahlreiche Vorurteile durchsetzen. Kind und Karriere lässt sich nur selten vereinbaren.

Rechte für (werdende) Mütter: Ideal versus Realität

Besonders schwer haben es in Japan junge Politikerinnen. Der aus Hokkaidō stammenden, schwangeren Abgeordneten des Unterhauses Takako Suzuki sprach etwa die öffentliche Debatte ab, dass sie während ihrer Schwangerschaft und als Mutter ihren Aufgaben als Staatsdienerin nachkommen könne.

Als 2017 zwei Schwangere in das Stadtparlament in Tōkyō einzogen, gab es eine Diskussion darüber, wer für ihre Fehlzeiten aufkommen soll. Vorwürfe wurden laut, die beiden stehlen öffentliche Gelder. Hintergrund hierfür ist, dass die Abgeordneten mit ihrer speziellen Position als Staatsdiener keinen Anspruch auf die üblichen Schwangerschaftsregelungen haben.

Rechtlich steht erwerbstätigen Frauen in Japan seit 1991 ein einjähriger Erziehungsurlaub zu. So haben Frauen das Recht, sechs Wochen vor und acht Wochen nach der Geburt des Kindes Urlaub zu nehmen. Sie erhalten hierfür maximal zwei Drittel ihres bisherigen Gehaltes. Eine weitere Beurlaubung bis zur Vollendung des ersten Lebensjahres des Kindes ist danach möglich.

Generell können auch Väter diesen Erziehungsurlaub beantragen. Trotz dieser Regelung sieht die Realität vieler arbeitstätiger werdender Mütter jedoch anders aus. Die Vereinigung Matahara Net sieht drei Hürden für schwangere Frauen. Die erste Hürde ist, die Schwangerschaft bekannt zu machen. Nicht selten folgt hierauf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die zweite Barriere ist der Mutterschutz bzw. die Erziehungszeit. Auch hierbei verlieren viele Frauen ihren Arbeitsplatz. Die dritte Hürde ist die Rückkehr an die Arbeit. Zurückkehrenden Müttern werden oft Steine in den Weg gelegt, wenn sie ihre Arbeitszeit reduzieren wollen oder sie werden mit weniger verantwortungsvollen Positionen aufs Abstellgleis geschoben.

All das führt dazu, dass in Japan die Quote der Frauen in Führungspositionen weit unter dem internationalen Durchschnitt rangiert. Auch wenn Premierminister Shinzo Abe mit seinen Womenomics angetreten ist, dies bis 2020 zu ändern. Immer noch liegt der Anteil der erwerbstätigen Frauen in Japan weit unter der Quote der Männer.

Zwar ist die Quote der arbeitenden Frauen im Alter von 15 und 64 Jahren zuletzt deutlich auf 68,5 % gestiegen, und auch bei den 25- bis 39-Jährigen kletterte die Erwerbsquote auf 75,7 %. Aber dennoch gibt es strukturelle Probleme. Rund 50 % der Mütter in Japan würden wieder Vollzeit arbeiten, wenn sie von Überstunden ausgenommen würden. Weniger als 10 % tun dies tatsächlich. Der große Rest arbeitet nach den Kinderauszeiten in Teilzeit.

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