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Shibuya im Wandel: Wo Japan seine gesamte Dynamik zeigt

Matthias Reich
Matthias Reich

Das hippe Shibuya ist das Stadtviertel Tōkyōs, das sich in den vergangenen Jahren am meisten gewandelt hat. Die Gegend war vorrangig bekannt für seine Modeläden, die beschäftigte Kreuzung und das Denkmal des treuen Hachikō. Shibuya ist heute viel mehr - bei jedem Besuch scheint man es kaum wiederzuerkennen.

Shibuya Station
Die berühmte Kreuzung vor dem Bahnhof Shibuya - gerade in diesem Bereich wird sehr viel neu- und umgebaut. © Photo by Jezael Melgoza on Unsplash

Piccadilly Circus, New York Times Square, Shibuya – es gibt kaum jemanden, der diese weltberühmten Plätze beziehungsweise Kreuzungen nicht kennt. Shibuya ist vor allem für seine Menschenmassen berühmt, vielleicht auch berüchtigt, sowie dafür, der Nabel der modebewussten japanischen Jugend zu sein. Später kam noch Halloween dazu, das an guten Tagen von bis zu einer Millionen Menschen vor Ort gefeiert wird.

Seit 1885 fährt eine Bahn den Bahnhof Shibuya an – damals noch die Peripherie Tōkyōs und von Feldern und kleinen Hütten dominiert. 1935 wurde dort das Tokyu Toyoko-Kaufhaus errichtet, seit 1948 wacht die Statue des treuen Hundes Hachikō vor dem Bahnhofsgebäude. Von 1951 bis 1953 fuhr sogar eine Seilbahn über Shibuya. 1963 wurde die Autobahntrasse quer durch das Viertel gebaut, 1973 folgte die berühmte Kreuzung vor dem Bahnhof, bei der alle Fußgänger gleichzeitig von allen Seiten loslaufen können. 1979 eröffnete das Modekaufhaus “109” seine Pforten.

Ein Viertel im ständigen Wandel

Shibuya ist seit rund 100 Jahren permanent im Umbau, doch was besonders in den vergangenen Jahren renoviert, abgerissen und neu gebaut wird, ist rekordverdächtig:

  • Der alte Miyashita-Park nördlich des Bahnhofs Shibuya, nebst den umliegenden kleinen Gassen, wurde komplett entfernt und durch einen modernen Hochgarten sowie eine nagelneue Kneipenzeile, die Shibuya Yokochō, ersetzt. 
  • Der Endbahnhof der Ginza-U-Bahnlinie wurde komplett abgetragen und neu gebaut. 
  • Der Bahnhof der Tokyu Toyoko-Linie wurde unter die Erde verlegt – den Platz nimmt heute das 180 m hohe Shibuya Stream-Gebäude ein. Das Hochhaus beherbergt ein Einkaufszentrum, ein Hotel sowie das Hauptbüro von Google Japan. 
  • Alle anderen U-Bahnlinien, die Shibuya anfahren, wurden durch weitläufige Passagen im Untergrund miteinander verbunden. 
  • Die Gegend entlang des Shibuya-Kanals wurde komplett neugestaltet. 
  • Das Tokyu Plaza-Gebäude wurde abgerissen und durch das nicht sehr hohe, aber trotzdem auffällige Shibuya Fukuras-Gebäude ersetzt.
  • Das alte Tokyu-Kaufhaus direkt neben dem Hachikō-Denkmal wurde 2022 abgerissen. 
  • Der alte Eisenbahnwaggon neben dem Hachikō-Denkmal ist verschwunden. 
  • Ein sehr niedrig und eng gebauter Block, der sogenannte “A-Block” (A-gaiku), südwestlich des Bahnhofs wurde komplett abgerissen und seit 2021 neu bebaut. 
  • Nach nur fünf Jahren Bauzeit eröffnete 2019 der Wolkenkratzer Shibuya Scramble Square mit 230 m Höhe. Büros, zahllose Geschäfte und eine sensationelle Aussichtsplattform, bei der man auf dem Dach des Gebäudes spazieren kann, gehören zum Inventar des Neubaus. Zwei weitere, kleinere Bauwerke gehören ebenfalls zum Scramble Square-Komplex und sind seit 2022 im Bau.
  • Das berühmte Shibuya PARCO-Kaufhausgebäude wurde abgerissen und durch einen futuristischen Neubau (Shibuya PARCO Hulic Building) ersetzt. 
Bisher gehörten die Dauerbaustellen zu Shibuya dazu - das wird sich in den nächsten Jahren ändern.

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Ein völlig neues Shibuya

So gesehen ist vom alten Shibuya nicht mehr allzu viel übrig – bis auf die berühmte Kreuzung, an der sich zwar immer wieder die Werbung und die Größe der Bildschirme ändert, aber im Prinzip erkennt man den “Scramble Square” sofort wieder. Auch der Großteil der Gegend um Dogenzaka, die sich vom Bahnhof Richtung Westen erstreckt, sieht noch mehr oder weniger aus wie vor 20 Jahren. Laut städtebaulichem Masterplan soll Shibuya zu einem Zentrum kreativer Firmen werden und in einer Reihe mit globalen Playern wie New York oder London stehen. Zudem soll der Stadtteil die Topadresse für Shopping in Tōkyō werden – beide Ziele sind im Prinzip bereits erreicht.

Es sind jedoch nicht nur die zahlreichen und vielfältigen neuen Gebäude in Shibuya oder die weitverzweigten Passagen zwischen den verschiedenen Bahnhöfen. Es gibt auch einen für gewöhnliche Besucher:innen unsichtbaren, und dennoch faszinierenden Aspekt des massiven Umbaus: Rund 25 m unterhalb des Ostausgangs des Bahnhofs Shibuya befindet sich eine riesige Zisterne, die bis zu 4.000 Tonnen Regenwasser auffangen kann. Denn der Bahnhof von Shibuya ist topographisch gesehen ein kleiner Talkessel, der bei massiven Niederschlägen, zum Beispiel während eines Taifuns, schnell volllaufen würde. Die Zisternen fangen in so einem Fall das Wasser auf und speisen es bei Wetterbesserung in die Kanalisation. 4.000 Tonnen entspricht etwa der Wassermenge, die bei Lutherstadt Wittenberg (südwestlich von Berlin) durchschnittlich in zehn Sekunden durch die Elbe fließt. Das ist eine enorme Menge und wird dafür sorgen, dass Shibuya auch bei extremen Regenfällen trocken bleibt.

In diesem Sinne ist Shibuya auf jeden Fall einen Abstecher wert – egal, ob und wenn ja, wann, man das letzte Mal dort war.


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