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Japan und das Pachinko-Phänomen

Matthias Reich
Matthias Reich

Sie sind in Japan omnipräsent: Pachinko-Spielhallen. Mag auch der letzte Buchladen aus einer Stadt verschwunden sein – eine Pachinkohalle gibt es auf jeden Fall. Rein rechtlich dürfte es diese noch nicht einmal geben, doch noch hat sich kein Politiker gewagt, härter durchgreifen.

Eine Pachinko-Halle in Akihabara, Tokyo.
Eine Pachinko-Halle in Akihabara, Tōkyō. © Wikipedia / Tischbeinahe (CC BY-SA 3.0)

Stochert man ein bisschen in der Psychologie der japanischen Männerwelt herum, so stößt man nach einer Weile auf das – wohlgemerkt altmodische und heute bei jungen Menschen kaum noch bekannte – System des nomu-utsu-kau, wörtlich “trinken-schlagen-kaufen”. Mit utsu ist hier allerdings nicht wirklich “schlagen” gemeint, sondern das Glücksspiel. Seien es Pferde- oder Motorsportwetten, oder die gebräuchlichste Form, das “Pachinko”.

Pachinko ist ziemlich einmalig auf der Welt und das japanische Glücksspiel schlechthin: Es handelt sich um Spielautomaten, in die man oben kleine silberne Kügelchen reinkippt, damit sie auf Umwegen, zufällig gelenkt von kleinen Stäbchen, ihren Weg nach unten finden. Wer die richtigen Knöpfchen dabei drückt – oder das richtige Timing hat – kann viel mehr Kugeln dabei rausholen, als reingesteckt wurden. Man kann es also als eine Art vertikales Pinball beschreiben. 

Erstmals tauchten erste Automaten in den 1920er-Jahren als Kinderspielzeug auf, in den 30ern verbreiteten sie sich schließlich als Freizeitbeschäftigung für Erwachsene. Der erste kommerzielle Pachinko-Salon eröffnete 1948 in Nagoya und das Glücksspiel wurde zu einem landesweiten Phänomen. 

Eine Pachinko-Halle von außen.

Viele Glücksspielautomaten im Land

Laut dem japanischen Glücksspielverband[1] gab es Anfang 2023 im ganzen Land knapp 6.700 Pachinko-Hallen mit insgesamt zwei Millionen Pachinko- und 1,2 Millionen Pachislo-Automaten (das „slo“ in Pachislo steht für „Slot“; gemeint sind Slotmaschinen, wie man sie etwa auch in Deutschland sieht). Im Schnitt kommen auf einen Automaten gerade einmal 37 Einwohner:innen. Doch wenn man bedenkt, dass nur sehr wenige Frauen an solchen Automaten spielen – und unter 18-Jährigen keinen Zutritt haben -, ist die Automatendichte extrem hoch. Zum Vergleich: In Deutschland gab es 2020 rund 220.000 Automaten[2] (hier allerdings inklusive Dart- und anderen, mit Geld betriebenen Spielautomaten), womit auf einen Automaten ca. 380 Einwohner:innen kommen. Anders gesagt: In Japan gibt es mindestens 10-mal mehr Glücksspielautomaten als in Deutschland, und das natürlich nur, weil der Bedarf da ist.

Legales Schlupfloch

Die Kügelchen für die Pachinko-Automaten kauft man für Geld in kleinen Körbchen. Und falls man welche übrig hat (oder gar welche dazu gewonnen hat), werden die Kügelchen abgewogen. Je nachdem, wie viele man hat, bekommt man einen Preis ausgehändigt – Süßigkeiten zum Beispiel. Oder Eis. Oder Tabak. Oder Elektrogeräte. Auch Schmuck ist dabei. Doch hier wird es interessant: Pachinko-Hallen fallen unter das “Gesetz zur Regulierung von Geschäftstätigkeiten, welche die öffentliche Moral betreffen”, auf Japanisch auch kurz fūeihō genannt. Diesem Gesetz zufolge

  • darf in den Spielhallen kein Bargeld als Preis ausgehändigt werden, und
  • die Preise dürfen einen Wert von 9600 Yen (rund 60 Euro) nicht übersteigen.
Pachinko-Kügelchen.
Pachinko-Kügelchen. © Wikipedia / MichaelMaggs (CC BY-SA 3.0)

Glücksspiel ist in Japan also grundsätzlich illegal. Hat man jedoch eine ordentliche Anzahl der Kügelchen angesammelt, will man natürlich mehr als eine Schubkarre voller Naschwaren. Der Pachinko-Besucher lässt also seine Kugeln abwiegen, bekommt einen Bon und geht damit zu einem Schalter. Hat man eine ordentliche Menge Kugeln, sagt man dort am besten gar nichts – denn nur dann bekommt man wortlos tokushu keihin, “Sonderpreise”, ausgehändigt. In den meisten Fällen sind dies kleine Plastikschatullen, die winzige Goldstücke enthalten. Die größten wiegen 1 Gramm. Das Gold kann man freilich behalten, doch die meisten Spieler verlassen damit die Pachinko-Halle und suchen den nächstbesten Umtauschladen auf. Im Großraum Tōkyō werden diese “TUC-Schalter” genannt. Händigt man dort die Sonderpreise aus, bekommt man letztendlich Bargeld ausgezahlt.

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Soziale Probleme und eine mächtige Lobby

Natürlich ist Pachinko mit zahllosen Problemen verbunden. Spielsucht ist auch in Japan kein Fremdwort, und so sind die Folgen gesellschaftlich hoch relevant: Übermäßiges Spielen führt zur Schuldenfalle, und diese möglicherweise zum Abgleiten in die Halbwelt des illegalen Geldverleihs, was wiederum zu Verbrechen (gegenüber den Schuldnern, mehr aber noch durch die Schuldner) führen kann. Die Vernachlässigung der Familie, häusliche Gewalt, Schikane bis hin zu Selbstmord gehören zu den hässlichen Nebenwirkungen.

Selbstverständlich werden Spielsucht und damit einhergehende soziale Konsequenzen als Problem empfunden, doch die Pachinko-Betreiber haben eine sehr starke Lobby – und einen großen Rückhalt in der stark patriarchalisch ausgerichteten Gesellschaft Japans. 2019 wurde eigens ein “Politischer Bund der landesweiten Spieleindustrie” gegründet, welcher gezielt Kandidaten der regierenden Liberaldemokraten unterstützt und dafür sorgen soll, dass etwaige die Spieleindustrie betreffenden Gesetzesänderungen entweder gar nicht, oder wenn, nur in sehr abgemilderter Form durchgesetzt werden. Besonders betont wird hier, dass die Pachinko-Hallen für eine “gesunde Gesellschaft und eine vitale Gemeinschaft sorgen”. 

Pachinko per se ist nicht unbedingt schlecht – es gibt unzählige Japanerinnen und Japaner, die dem Spiel ganz diszipliniert fronen. Nur zu gegebenen Anlässen und mit einem festen Budget nutzen sie den Höllenlärm der Spielhallen, um etwas dem Alltag zu entfliehen. Und im Gegensatz zu Kino und Co. bleibt mit etwas Glück zum Ende sogar mehr Geld übrig, als man investiert hat. Dazu muss man allerdings wirklich Glück haben. Sowohl beim Pachinko als auch beim Pachislo muss man im Schnitt rund 20.000 Yen (umgerechnet 140 Euro) pro Stunde investieren, um im Spiel zu bleiben. Ein stundenlanger Besuch kann da sehr teuer werden, wenn Fortuna nicht nebenan sitzt.

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