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Kone oder Vitamin B: Die Wichtigkeit von Beziehungen in Japan

Matthias Reich
Matthias Reich

"Sontaku 忖度" – dieser Begriff geisterte im Zuge der Affäre um Ministerpräsident Abe in der Presse umher. Was steckt dahinter, und inwiefern spielen die richtigen Beziehungen, genannt kone, in Japan eine Rolle?

Hände schütteln in Nahaufnahme

Laut Korruptionswahrnehmungsindex, alljährlich von Transparency International erstellt, bewegt sich Japan im Schnitt auf dem 20. Platz oder kurz darunter. Eigentlich kein schlechter Wert, wenn man bedenkt, dass hier über 170 Länder miteinander verglichen werden. Allerdings sollte man bei dieser Statistik in zweierlei Hinsicht vorsichtig sein. Zum Ersten geht es hier um “wahrgenommene” Korruption – dazu zählt zum Beispiel, wie korrupt die Polizei ist oder Angestellte in öffentlichen Behörden. In dieser Hinsicht gehen die Dinge in Japan mit rechter Ordnung zu, denn Angestellte im öffentlichen Dienst geniessen einen ziemlich guten Ruf und gelten als integer. Korruption wird somit in der Tat kaum wahrgenommen. Zum Zweiten muss man bei der Definition vorsichtig sein: Transparency International zum Beispiel bezeichnet Korruption als “Missbrauch anvertrauter Macht zum privaten Nutzen oder Vorteil”. Doch die Lage ist in Japan (eigentlich aber in ganz Ostasien) etwas komplizierter.

Sewa: Das Verhältnis von Gefallen und Gegengefallen

Ein Beispiel: Ein guter japanischer Bekannter wollte ein Netzwerk Gleichgesinnter bilden (es ging um ein profanes Hobby) und als solches die Erlaubnis einholen, eine öffentliche Einrichtung zu nutzen. Also ging er zur zuständigen Behörde – mehrfach – und bemühte sich um eine Erlaubnis. Vergeblich. Bis ein guter Freund, ehemals Journalist einer einflussreichen Tageszeitung, davon erfuhr. Diesem genügte ein einziger Anruf bei der richtigen Person, um ganz unbürokratisch an die gewünschte Erlaubnis zu gelangen. Interessanterweise ziehen weder der Journalist noch der die Erlaubnis Erteilende daraus einen privaten Nutzen oder Vorteil. Es ist lediglich ein Gefallen, eventuell in Retour für etwas, was sehr, sehr lange zurückliegt. 世話 sewa lautet hier ein Schlüsselwort – der “Gefallen”. Hat man jemandem Mühe bereitet oder Kummer gemacht? Dann entsteht ein Verhältnis von Gefallen und Gegengefallen. Man revanchiert sich mit kleinen oder großen Geschenken, je nachdem, wie gross der Aufwand war. Und: Diese “Schuld” verjährt nicht.

Was bedeutet sontaku?

Noch komplizierter wird es beim Begriff 忖度 sontaku, der beim Skandal um anrüchige Immobiliengeschäfte zwischen Staat und dem privaten Bildungsträger Moritomo eine wichtige Rolle spielte. Das ins Deutsche oft mit “Annahme, Vermutung” reichlich ungenügend übersetzte Wort bedeutet, dass man ohne Rücksprache mit einer Person im besten Sinne für selbige handelt. Man kann es auch mit “einen Wunsch von den Lippen ablesen” oder gar als “vorauseilenden Gehorsam” übersetzten. Kompliziert ist das deshalb, weil die betroffene Person noch nicht einmal davon wissen muss und somit ganz unbedarft in den Genuss von Vorteilen kommt. Dieses sontaku eignet sich von daher auch wunderbar als Ausrede – wovon man im Moritomo-Skandal sicherlich auch ausgehen kann.

Kone: Die Bedeutung von Beziehungen in Japan

Gute Beziehungen, das Vitamin B, werden in Japan kurz コネ kone (eine Verballhornung des englischen Wortes connection) genannt, und natürlich spielen sie auch in Japan eine wichtige Rolle. Doch wie man an den obigen Beispielen sehen kann, ist die Situation in Japan noch ein bisschen komplizierter – die Grenze zur Korruption ist weicher und wird von vielen Japanern anders wahrgenommen als in vielen anderen (westlichen) Ländern.

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