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Der Kōyasan und der Shikoku-Pilgerweg – Das spirituelle Herz Japans | Teil 1 Anzeige

JAPANDIGEST
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Der Kōyasan in der Präfektur Wakayama sowie der Shikoku-Pilgerweg mit seinen 88 Tempeln gehören seit jeher zum spirituellen Herzen Japans. Autor Nico Bohnsack, Koordinator für Internationale Beziehungen bei der Präfektur Tokushima, gibt Einblicke in die spirituellen Lebensweisen der Mönche und Pilgernden.

Mönche

Als der junge Mönch Kūkai (774–835) zu Beginn des 9. Jahrhunderts während eines Studienaufenthalts in China der Legende nach einen Donnerkeil in Richtung Japan warf, um den Einschlagpunkt des Keils als Basis für die Verbreitung des Shingon-Buddhismus (shingon-shū) in Japan zu bestimmen, soll er bereits geahnt haben, welch große Bedeutung die Shingon-Schule in Japan erlangen würde. Nach seiner Rückkehr nach Japan soll Kūkai den Donnerkeil auf dem sogenannten Kōyasan gefunden haben, einer Bergregion im Norden der heutigen Präfektur Wakayama.

Der Kōyasan gilt seither als Zentrale der zum esoterischen Buddhismus (mikkyō) zählenden Shingon-Schule und entwickelte sich mit den Jahren zu einem riesigen Tempelkomplex mit gegenwärtig 117 Tempeln. In der Edo-Zeit (1603–1868) waren es sogar um die 2.000 Tempel. Besucherinnen und Besucher des in der Präfektur Tokushima beginnenden Shikoku-Pilgerweges auf Japans kleinster Hauptinsel Shikoku besuchen den Kōyasan zudem häufig vor Beginn und noch einmal nach Beendigung der Pilgerreise. Allen 88 Tempeln des Pilgerweges wird eine direkte Verbindung zum Kōbō Daishi genannten Kūkai nachgesagt. Ein Besuch des Kōyasan und des Shikoku-Pilgerweges bietet nicht nur spirituelle Erfahrungen, sondern auch eine Möglichkeit, die Lebensweisen, Gastfreundschaft und Gaumenfreuden insbesondere des ländlichen Japans kennenzulernen.

Gebirge in der Kumano-RegionDer Kumano Kodō: Unterwegs auf Japans alten Pilgerwegen – Teil 1 Anzeige In der Präfektur Wakayama liegt ein Netzwerk aus uralten Pilgerwegen, der Kumano Kodō. Mittendrin befinden sich drei heilige Großschreine: T...20.11.2020

Der Weg zum Kōyasan und der „Kōyasan der Frauen“

Einige Pilgernde beginnen die Reise also mit einem Besuch auf dem Kōyasan, der sehr gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ist. Die Bahngesellschaft Nankai Electric Railway beispielsweise bietet eine direkte Verbindung zwischen dem Bahnhof Namba in der pulsierenden Metropole Ōsaka und dem Bahnhof Gokurakubashi an, die durch eine malerische Berg- und Waldlandschaft führt. Im Anschluss kann eine Standseilbahn genutzt werden, die für den Transport hinauf in den Tempelkomplex verantwortlich ist.

Anstelle des direkten Weges lohnt es sich allerdings, einen Zwischenstopp am Jison-in einzulegen, einem Tempel, der in etwa 30 Minuten vom Bahnhof Kudoyama aus zu Fuß zu erreichen ist. Der Jison-in diente lange Zeit als Verwaltungsbasis des Kōyasan und gilt als Eingangspforte zu diesem. Was den Jison-in allerdings so außergewöhnlich macht, ist die Bedeutung des Tempels für Frauen. Als Kūkais Mutter ihren Sohn auf dem Kōyasan besuchen wollte, war dies nicht möglich, da der Zutritt für Frauen auf dem Kōyasan lange verboten war (nyonin kinsei). Sie ließ sich daher im Jison-in nieder, wo Kūkai sie jeden Monat neunmal besucht haben soll. Der Tempel wurde so nach und nach ein beliebter Ort für Frauen, die ihren Glauben ausleben wollten und ging daher auch als „Kōyasan der Frauen“ (nyonin kōya) in die Annalen ein. Der Jison-in sowie der komplette Kōyasan-Komplex wurden 2004 als Teil der „Heiligen Stätten und Pilgerwege in der Kii-Bergkette“ als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt. Wer viel Kraft und Zeit mitbringt, kann den Haupttempelkomplex des Kōyasan in etwa 6–8 Stunden zu Fuß vom Jison-in aus über einen Bergpfad erreichen.

Ema am Jison-in
Die wichtige Rolle des Tempels für Frauen kann auch an den vielen Abbildungen der weiblichen Brust gesehen werden. Menschen beten hier z. B. oft für Fruchtbarkeit und eine sichere Geburt.

Daimon und Danjō Garan

Diejenigen, deren Füße sie nicht so weit tragen, sollten zum Bahnhof zurückkehren, um dann über die bereits erwähnte Route auf den Kōyasan zu gelangen. Dort wird man von einem gewaltigen Tor, dem sogenannten Daimon, empfangen, welches den Eingang zum Tempelkomplex darstellt und sofort erahnen lässt, welch monumentale Bauten auf dem Kōyasan warten. Das 25 Meter hohe Tor beheimatet zwei von bekannten Bildhauern der Edo-Zeit geschaffene Wächtergottheiten (niō) und bietet insbesondere während der Zeit der Herbstlaubfärbung (kōyō) wunderschöne Motive.

Daimon am Koyasan
Beim Blick auf die beiden vor den Wächtergottheiten stehenden Personen wird das riesige Ausmaß des Daimon deutlich.

Ein wenig weiter im Osten befindet sich der Danjō Garan, ein Gebäudekomplex, der den Gläubigen insbesondere zur Durchführung asketischer Übungen diente. Auch heutzutage werden die Gebäude größtenteils als Übungsplatz für Mönche genutzt. Beim Betreten des Geländes stößt man sofort auf die riesige Kondō, die zentrale Haupthalle des Kōyasan. Im Westteil des Danjō Garan befindet sich ein mit hohen Bäumen bewachsenes Gebiet, welches auch den Miyashiro-Schrein beheimatet, der die Rolle des Dorfschreins für den Kōyasan einnimmt. Buddhismus und Shintoismus (die oft als Naturreligion bezeichnete ethnische Religion Japans) werden häufig gemeinsam ausgelebt, und der Miyashiro-Schrein spielte eine große Rolle in der Schaffung einer Art Synkretismus aus Shintoismus und Buddhismus.

Weitere Höhepunkte des Danjō Garan sind die seit 886 existierende und im Jahr 1834 zuletzt neu errichtete Saitō (westliche Pagode), sowie die als Symbol des Kōyasan bekannte orangefarbene Konpon Daitō (große Pagode). Diese hält im Inneren auch für Besucher einsehbare wunderschöne Kunstwerke bereit. Übrigens kann man hier auch die Kiefer bewundern, in welcher der Legende nach der Donnerkeil, den Kūkai von China aus nach Japan warf, eingeschlagen sein soll. Das gesamte Areal strahlt selbst für wenig spirituell veranlagte Personen eine gewisse Magie aus, der man sich kaum entziehen kann. Die abendliche Beleuchtung verleiht ihm zusätzlich eine ganz besondere Atmosphäre.

Danjo Garan
Der Danjō Garan-Komplex umfasst insgesamt 19 Gebäude.

Traditionelle Tempelherbergen

Muryoko-in
Eine Szene aus dem buddhistischen Gottesdienst sowie ein Blick auf den japanischen Garten des Muryōkō-in.

Um die Kōyasan-Erfahrung perfekt zu machen, ist eine Übernachtung in einem Tempel (shukubō) zu empfehlen. Es gibt derzeit 51 Tempel, die Übernachtungsmöglichkeiten anbieten und den ohnehin traumhaften Besuch auf dem Kōyasan zu einem noch spezielleren werden lassen. Der Muryōkō-in beispielsweise bietet eine wunderschöne Tempelanlage mit einem bezaubernden japanischen Garten, traditionell eingerichteten Zimmern sowie die Gelegenheit, vegetarisch-buddhistische Küche (shōjin ryōri) zu kosten und den Lebensstil der Mönche hautnah zu erfahren. Den Höhepunkt stellt allerdings der jeden Tag um 6 Uhr morgens beginnende buddhistische Gottesdienst (gongyō) dar, dem man auch als Gast beiwohnen kann. Der etwa 90 Minuten dauernde Gottesdienst, in dem das rituelle Rezitieren buddhistischer Sutras und Mantras im Vordergrund steht, versetzt selbst seine Besucherinnen und Besucher in einen fast schon meditativen Zustand und bietet ein unvergessliches Erlebnis.

shojin ryori
Teil einer vegetarisch-buddhistischen Mahlzeit (rechts) ist meist auch der als Kōyasan-Spezialität geltende Sesamtōfu, welcher auch in speziell darauf ausgerichteten Restaurants (links) genossen werden kann.

Okunoin

Der nächste Morgen ist dann die ideale Zeit für eine Besichtigung des eindrucksvollsten Ortes des Kōyasan: dem Okunoin-Komplex. Okunoin ist die Bezeichnung für ein riesiges Areal, das den größten Friedhof Japans beheimatet, an dessen Ende sich das Mausoleum von Kōbō Daishi (Gobyō) befindet, die heiligste Stätte des Kōyasan sowie der Shingon-Schule und damit auch eine der heiligsten Stätten Japans. Auch wenn es inzwischen einen anderen Eingang in Parkplatznähe gibt, betritt man das Gelände traditionell über die Ichi no Hashi, einer kleinen Brücke am südwestlichen Ende des Komplexes, vor welcher man sich vor dem Betreten verbeugt. Besucherinnen und Besucher erwartet sodann ein sich über zwei Kilometer erstreckendes Waldgebiet mit über 200 000 Gräbern. Unter anderem befinden sich dort viele Zweitgräber bekannter historischer Persönlichkeiten, insbesondere lokaler Herrscher der Feudalzeit (daimyō), die in der Nähe von Kōbō Daishi ruhen wollten. Bekannte Vertreter sind beispielsweise Toyotomi Hideyoshi (1537–1598) und Oda Nobunaga (1534–1582).

Okunoin
Die uralten Gräber und riesigen Bäume lassen das Gefühl aufkommen, sich in einer anderen Welt zu befinden.

Der äußerst mystisch anmutende Weg führt schließlich zum Mausoleumsareal, welches über eine weitere Brücke zu erreichen ist. Hier fällt sofort die Laternenhalle (Tōrōdō) ins Auge, welche als Gebetshalle dient. Mehr als zehntausend Laternen, die von Gläubigen aus dem ganzen Land dargebracht wurden, können hier bewundert werden. Dahinter wartet schließlich Kōbō Daishis Mausoleum. Es besteht der Glaube, dass der berühmte Mönch sich hier in ewiger Meditation befindet. Das Mausoleum kann zwar nicht betreten, aber von außen betrachtet werden.

Okunoin
Mönche überqueren die Brücke zum Mausoleumsareal, um Kōbō Daishi seine Mahlzeit zu bringen.

Ein Besuch des Okunoin-Komplexes am Morgen bietet Besucherinnen und Besuchern die Möglichkeit, Zeuge der shōjingu genannten Zeremonie zu werden, bei der Kōbō Daishi jeden Morgen zweimal eine Mahlzeit gebracht wird. Diese wird von drei Mönchen in einer großen Holzkiste ins Mausoleumsareal getragen.

Stempelbuch
Ein Teil des "goshuin" wird per Hand ins Stempelbuch eingetragen.

Im Okunoin-Komplex kann außerdem das nōkyōchō genannte Stempelbuch, in das sich Pilgernde an jedem der 88 Tempel des Shikoku-Pilgerwegs einen Eintrag (goshuin) geben lassen können, erworben werden. Sowohl vor Beginn als auch nach Beendigung der Pilgerreise wartet hier jeweils ein zusätzlicher Stempel. Der Eintrag des Stempels im Rahmen des Abschlussgebets nach Beendigung der Reise stellt dabei einen besonders häufig gepflegten Brauch dar.

Weitere interessante Orte auf dem Kōyasan sind beispielsweise der einzige erhalten gebliebene „Frauentempel“ (Nyonindō) vor der historischen Grenze zum Areal, oder der Japans größten Steingarten (Banryūtei) beheimatende Haupttempel Kongōbu-ji. Um alles in Ruhe zu erkunden, sollten mindestens zwei Tage an diesem einzigartigen Ort verbracht werden.

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Informationen zu Anfahrt und weiteren Sehenswürdigkeiten der Präfektur Wakayama finden Sie auf der Seite des offiziellen Wakayama Reiseführers “Visit Wakayama” (Deutsch)!

Visit Wakayama

Weitere Informationen zu Übernachtungsmöglichkeiten und Reservierungen in der Kumano-Region gibt es bei Kumano Travel (Englisch)!

Kumano Travel

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