Der heilige Berg Misen auf der Insel Miyajima ist nicht nur ein landschaftliches Paradies, mit uralten Wäldern und einer atemberaubenden Aussicht auf das umliegende Seto-Binnenmeer, sondern auch ein spirituelles Zentrum. Seit mehr als 1.200 Jahren brennt auf diesem Berg ununterbrochen das Feuer kiezu no hi, das der legendäre buddhistische Mönch Kōbō Daishi während seiner Meditation entzündete. Dieses ewige Feuer ist weit mehr als nur ein symbolisches Licht; es steht für Reinigung, spirituelle Erleuchtung und Frieden. Es wird im Tempel Reikadō, in der Halle der ewigen Flamme, sorgfältig gepflegt und ist ein ständiges Zeugnis der unerschütterlichen Verbindung zwischen Menschen und Spiritualität. Es heißt, dass das heilige Wasser aus dem großen Teekessel, das mit den Flammen gekocht wird, gegen alle Arten von Krankheiten wirksam sei. Pappbecher und eine Kelle stehen neben der Feuerstelle bereit. Die bräunliche Farbe des Wassers rührt von der Zersetzung des Eisens im Kessel und ist ungefährlich. Wir hoffen, dass die Mönche die Flammen gut hüten und sie niemals erlöschen – im Gegensatz zu dessen „Kind“: Am 1. August 1964 wurde mit dem ewigen Feuer die „Flamme des Friedens“ im Friedenspark Hiroshima entzündet. Diese soll so lange brennen, bis alle Atomwaffen auf der Welt verschwunden sind.


Kappa im Mukanashi-Fluss
Vor langer Zeit soll eine Burg namens Taki in der Toyosakachō Asuka-Region, im Zentrum der heutigen Präfektur Hiroshima, von einer großen feindlichen Armee umzingelt gewesen sein. Die Trommeln schlugen wie wild, um die Moral zu wecken, aber ohne Pfeile und Nahrung verloren die Männer den Willen zu kämpfen. Der Burgherr war machtlos, setzte seine Burg in Brand und nahm sich das Leben. Doch die feindliche Armee verschwand im Morgennebel. Die Trommeln der Burg waren in die angrenzende Schlucht hinuntergefallen und wurden dort von einem Wasserfall getroffen. Sie donnerten so laut, dass in der ganzen Gegend dondon (bumbum) ertönte, als wolle Verstärkung ihren Vormarsch ankündigen, und der Lärm verschreckte die Angreifer. Seitdem wird das Tal „Dondon-Schlucht“ genannt.
Später kamen Gerüchte auf, dass Kappa in diesem Mukunashi- Fluss leben würden. Kappa sind mystische, furchterregende und gleichzeitig faszinierende Wesen der japanischen Folklore, die häufig als amphibische Kobolde beschrieben werden; mit einem grünen Körper, einem Schildkrötenpanzer und einer markanten Schale auf dem Kopf, die mit Wasser gefüllt sein muss, damit sie ihre übernatürlichen Kräfte behalten. Sie leben vorwiegend in Gewässern wie Flüssen, Teichen und Bächen, wobei jede Region ihre eigene Interpretation hat. Der Name setzt sich aus den Zeichen für Fluss 河 (kawa), und Kind 童 (pa) zusammen. In vielen Erzählungen sind Kappa listige und doch spielerische Wesen, die Opfer in Gewässer locken, oft mit tödlichen Konsequenzen. Der Shintō-Schrein Kappaebisu direkt am Mukunashi-Fluss bietet die Möglichkeit eine Opfergabe zu hinterlassen. Ihre Vorliebe für Gurken begründete dabei den Brauch, sie als Gabe zur Besänftigung zu hinterlassen – worauf auch die Sushi-Rolle kappamaki, die mit Gurken gefüllt ist, anspielt.


Die Kriegsgeschichte einer Kanincheninsel
Die Insel Ōkunoshima ist heute für ihre friedliche Kaninchenpopulation bekannt, doch ihre Geschichte hat eine dunkle Seite. Während des Zweiten Weltkriegs war die Insel ein geheimes Zentrum der japanischen Kriegsmaschinerie, das auf die Produktion von Giftgas spezialisiert war, das trotz internationaler Verbote eingesetzt wurden. Die Insel wurde für die Geheimhaltung sogar von den Karten gestrichen. Hier, verborgen vor der Welt, arbeiteten meist unerfahrene Arbeiter unter extrem unsicheren Bedingungen mit den tödlichen Substanzen. Doch was viele nicht wissen, ist, dass auf der Insel Kaninchen wohl als tragische „Versuchskaninchen“ für die Experimente dienten. 1945 wurden die militärischen Einrichtungen zerstört, alle Akten vernichtet und das Militär zog sich zurück. Die einzigen Lebewesen, die blieben und sich ohne natürliche Feinde rasant vermehrten, waren die Kaninchen. Heute ziehen die zahmen Tiere Touristen aus aller Welt an. Die Insel erscheint als ein friedlicher Ort der Idylle, doch trotzdem liegt eine düstere Erinnerung an die Vergangenheit in der Luft – ein Gedenken an Grauen des Krieges, die hier einst ihren Ursprung nahmen, und gleichzeitig ein Symbol für die Fähigkeit der Natur, sich zu erholen und Frieden zu finden. Die Überreste der alten Anlagen sind heute frei zugänglich und es gibt seit 1988 zusätzlich ein Giftgasmuseum.


Dieser Artikel erschien in der JAPANDIGEST April 2025-Ausgabe und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.
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