Neuer Premierminister, neues Glück? Was Japan zurzeit bewegt

Matthias Reich
Matthias Reich

Da geht er also dahin – Premierminister Ishiba hat nach einem Jahr das Handtuch geworfen, und sein Nachfolger wird Anfang Oktober von der Liberaldemokratischen Partei bestimmt. Zwar hat das Volk bei dieser Wahl kein Mitspracherecht, doch verfolgt man natürlich ganz genau, welche Kandidaten wie denken.

Der Parlamentssaal des Repräsentantenhauses. © istock-tonko / iStock

Politisch gesehen befindet sich Japan in den letzten Monaten des Jahres 2025 in einer vertrackten Situation. Die (fast) ewig regierenden Liberaldemokraten haben in beiden Kammern des Parlaments die Mehrheit verloren und müssen nun eine Minderheitsregierung führen – ein schwieriges Unterfangen angesichts der zersplitterten Opposition. Hinzu kommt eine neue Komponente: die rechtspopulistische Sanseitō, die bei der letzten Wahl über 10% der Stimmen erzielte und nun stark genug ist, um die Agenda der etablierten Parteien zu beeinflussen. Noch will niemand mit der Sanseitō koalieren – die relevanten Themen, allen voran der steigende Anteil an Ausländern, will man jedoch nicht vollständig den Rechten überlassen. So scheint ein allgemeiner Rechtsruck unausweichlich.

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Übertourismus und die schleichende Angst vor Überfremdung

Diese zwei Themen werden seit geraumer Zeit besonders gern von den Medien aufgegriffen und dementsprechend stark diskutiert und kommentiert. Die stetig steigende Zahl ausländischer Besucher sorgt in einigen Gebieten für Zustände, die für die Anwohner schwer zu ertragen sind. Hinzu kommen oft zitierte Posts aus den sozialen Netzwerken, darunter

  • ein Video, in dem eine ausländische Touristin Klimmzüge an einem Torii (Schreinbogen) macht
  • ein Beitrag eines Ausländers, der sich an den Opfergaben auf japanischen Gräbern (Sake und dergleichen) gütlich tut
  • ein schwer erträgliches Video einer ausländischen Frau, die mit ihrer Kamera eine Maiko regelrecht bedrängt – wohlgemerkt unter den Rufen anderer Touristen, die sie lautstark auffordern, das zu unterlassen

Diese Bilder erzeugen zu Recht starke Eindrücke. Hinzu kommt der gefühlte Anstieg der Kriminalität durch Ausländer, der jedoch durch Zahlen nicht belegbar ist. Ressentiments werden außerdem durch wilde Gerüchte geschürt, die von rechten Aktivisten verbreitet werden – darunter etwa

  • das Gerücht, Ausländer in Japan zahlten keine Steuern und Sozialabgaben
  • das Gerücht, die Regierung habe angeblich geplant, drei japanische Städte in „African home towns“ umzuwandeln, um dort massenweise afrikanische Einwanderer anzusiedeln
  • das Gerücht, eine Grundschule in Kitakyushu werde auf Anfrage einer muslimischen Mutter von nun an ausschließlich halal-Essen in der Schulspeisung anbieten

Diese und viele andere Behauptungen sind allesamt haltlos, verärgern aber nicht nur Japaner, die sie unreflektiert aufnehmen, sondern auch Ausländer, die schon länger im Land leben. Gerade das Gerücht, dass man als Ausländer keine Abgaben zahle, ruft eher hilfloses Gelächter hervor. Natürlich zahlen Ausländer Steuern – und zwar genauso viel wie Japaner. Der einzige Unterschied besteht darin, dass sie kein Mitspracherecht darüber haben, wie die Einnahmen verwendet werden.

Kurz nach der letzten Wahl begannen sich jedoch bereits die liberaldemokratischen Kandidaten zu positionieren, indem sie härtere Maßnahmen gegen den Zuzug von Ausländern und den Übertourismus versprachen – zunächst erfolgreich, wie es scheint: Während die Zustimmungsrate der Sanseitō rasch unter 10% sank, stieg die der Liberaldemokraten um ein paar Prozentpunkte.

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Starke Ablehnung bei jüngeren Japanern

Beim Zuspruch zur Regierungspartei zeigt sich ein deutliches Gefälle zwischen den Altersgruppen: Während bei den jüngeren Wählern zwischen 18 und 39 Jahren nur 14% mit der Regierung zufrieden sind, sind es bei den über 70-Jährigen deutlich über 50%. Das überrascht kaum. Die Liberaldemokraten, dominiert von einer Altmännerriege, tun zwar viel für die immer zahlreicheren älteren Mitbürger, aber viel zu wenig für junge Menschen. Das spiegelt sich auch in der seit Jahrzehnten niedrigen Geburtenrate wider.

Andere Themen, die Sorgen bereiten

Umfragen zufolge sind viele Japaner nach dem Sommer 2025 stärker als sonst über den Klimawandel besorgt. Der Sommer war extrem heiß, lang und ungewöhnlich trocken. In Tokyo stieg die Temperatur an 29 Tagen über 35 Grad – während einer Hitzewelle im August sogar zehn Tage in Folge. Die heißen Phasen wurden nur gelegentlich von heftigen Niederschlägen unterbrochen, bei denen über 100 Millimeter Regen pro Stunde fielen. Das führte selbst im Zentrum Tokyos wie auch in vielen anderen Regionen zu plötzlichen Überschwemmungen und vollgelaufenen Kellern und Parkplätzen. Viele Japaner haben dabei das Gefühl, dass die Situation von Jahr zu Jahr extremer wird – und Daten stützen diesen Eindruck.

Die Wetterkapriolen haben zudem ganz konkrete Folgen: So zogen die Preise für bestimmte Obst- und Gemüsesorten infolge der Trockenheit spürbar an und sorgten für noch mehr Druck auf ohnehin schon knappe Haushaltskassen.

Ausblick

Wer auch immer ab Oktober in Japan das Zepter in der Hand hält – es gibt viel zu tun, und der neue Premierminister wird sich mehr denn je an Taten messen lassen müssen. Andernfalls könnte es schnell passieren, dass nach weniger als einem Jahr erneut ein Regierungswechsel bevorsteht.

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