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Beobachtungen aus Japan: Konbini Freaks

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Welchen Charakteren begegnet man in japanischen Kombinis? Die Autorin dieser Kolumne berichtet von ihren Erfahrungen der besonderen Art.

frau mit kapuze vor japanischem Kombini
(c) GetHiroshima

In diesem Text widme ich mich den Freaks der Konbinis. Und nein, damit meine ich keine Otakus oder Nerds. Ich meine die richtig merkwürdigen, verrückten Leute, die Konbinis scheinbar so anziehen. Bevor ich beginne, möchte ich explizit betonen, dass ich diese Menschen nicht kritisiere. Wenn Sie diese Kolumne beleidigend finden, ist das Ihr gutes Recht. Wenn Sie den Text jedoch bis zum Ende lesen, verstehen Sie vielleicht, was ich meine. Wenn nicht, nicht.

Also, die Freaks…

Jetzt gerade zum Beispiel sitze ich im Familiy Mart gegenüber der Polizeibox am Bahnhof Yokogawa. Ich trinke Kaffee und beobachte aus dem Augenwinkel diesen Typen neben mir. Er steht direkt vor dem Zeitungsregal und rückt alle Zeitungen gerade, die nicht ganz ordentlich drin stecken. Er geht einen Schritt zurück, um dann wieder vor zu gehen und den Prozess von vorne zu beginnen. Ehrlich gesagt geht mir das ganz schön auf die Nerven, denn die Zeitungen sind offensichtlich schon perfekt aneinandergereiht. Ich vermute, er hat eine Art Zwangsneurose. Also doch, mir wird das zu bunt. Ich drehe mich um und fixiere ihn mit einem spitzen Blick. Er weicht etwas zurück und geht zum anderen Ende der Theke, wo ich sitze, hebt eine beträchtliche Sammlung Plastiktüten auf, die Hiroshima-Taro die Schamesröte ins Gesicht treiben würde, und geht. Er ist nur einer von vielen, denen ich in dieser Filiale begegnet bin.

[Hiroshima-Taro ist der Spitzname eines lokal bekannten Obdachlosen in Hiroshima, Anm. D. Red.]

In meiner Nachbarschaft gibt es einen Mann, der IMMER betrunken ist. Er trägt einen dunkelgrauen Pulli und sieht aus, als hätte er seine Haare seit Jahren nicht gewaschen. Er ist oft hier. Das letzte Mal, als ich ihn gesehen habe, stolperte er durch die Tür, kaufte einen Becher Sake und kippte diesen in einem einzigen Zug runter, direkt vor dem Eingang. Dieser Anblick hat mein Interesse geweckt, ich war beeindruckt. Jetzt wo ich drüber nachdenke: Vielleicht lag das nur daran, dass ich zu dem Zeitpunkt selbst betrunken und im Konbini war. Jedenfalls, als er seinen Sake bis zum letzten Tropfen getrunken hatte, stand er einfach weiter da und starrte eindringlich auf ein Fahrrad, das vor ihm stand. Es waren sicher zehn Minuten, bevor er des Anblicks müde wurde, sich rappelte und davonzog.

Beim Family Mart gegenüber vom Yours Supermarket und der Straßenbahnhaltestelle Tokaichi-machi saß ich mal neben einer verrückten alten Dame. Sie hat auf Japanisch vor sich hingebrabbelt; nicht mal andere Japaner konnten sie verstehen. Sie führte eine tolle Unterhaltung mit sich selbst und gackerte zwischen den Sätzen wie verrückt. Es war sehr unterhaltsam, aber am amüsantesten waren die anderen Leute, die einen Blick auf sie warfen und sich entfernten. Das merkwürdigste (und vielleicht coolste) an ihr waren ihre Hand-Tattoos mit Zahlen und Symbolen.

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Oh und dann war da natürlich die Frau, die in einer Filiale neben mir saß und ihre Fingernägel knipste, während ich meinen Kaffee trank. Vermutlich sollte ich dankbar sein, dass es nicht ihre Fußnägel waren. Meinen Kaffee habe ich trotzdem auf meine andere Seite gestellt, ich wollte schließlich nicht, dass „körperliche Geschosse“ darin landeten. Eklig.

Mir ist einfach aufgefallen, dass ich all diesen Leuten bei Familiy Mart begegnet bin. Ich schätze, dass neuere Filialen mehr Sitzgelegenheiten bieten; deshalb ziehen sie Leute an, die sich für eine Minute oder einen Drink hinsetzen möchten, in ihrem gegenwärtigem Zustand des Wahnsinns (ob temporär oder andauernd). Wie dem auch sei, diese Menschen faszinieren mich und vielleicht würde die Bezeichnung „farbenfrohe Charaktere“ sie passender beschreiben. Sie geben nicht nur den Konbinis, sondern auch der Welt und dem Leben im Allgemeinen Farbe. Meine Konbini-Erfahrung wäre nicht dieselbe ohne sie.


Dieser Artikel wurde am 04. November 2017 von Jade Brischke für GetHiroshima verfasst und für die Veröffentlichung auf JAPANDIGEST nachbearbeitet.

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