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Die Kirschblüte ist wieder da – und Corona feiert mit

Matthias Reich
Matthias Reich

Die japanische Kirschblüte besticht nicht nur durch die Farbenpracht. Sie hat auch Symbolcharakter, denn zur Kirschblütenzeit beginnt ein neues Schul- und Fiskaljahr. Die ideale Zeit also, um bei frühlingshaften Temperaturen rosafarbenen Kirschbäumen zu feiern. Doch leider ist Corona noch immer da.

Unter Kirschblüten zu picknicken gehört zu den beliebtesten Aktivitäten des Hanami. Unter Corona-Bedingungen hat sich das Verhalten der Japaner jedoch geändert.

Das dritte Corona-Jahr, und die dritte Kirschblüte unter Corona-Bedingungen: Erinnerungen daran, was in den japanischen Parks los war, bevor das Virus Einzug hielt, beginnen beinahe zu verblassen, und schaute man sich Videos aus der Zeit an, erschrickt man beinahe: So viele Menschen, ganz dicht beieinander, die ausgelassen sprechen, kreischen, lachen und singen – und das ganz ohne Maske. Hanami, die Kirschblütenschau, scheint die ideale Petrischale für die Ausbreitung des Virus zu sein. Zwar ist man draußen an der frischen Luft, aber die körperliche Nähe und der strömende Alkohol lassen die Aerosole nur so tanzen.

Hanami unter Pandemie-Bedingungen

Im ersten Pandemie-Jahr waren die Menschen in Japan sehr eingeschüchtert. Man hatte noch die Bilder aus Italien vor Augen und weder rettende Medikamente noch eine Schutzimpfung waren in Sicht. Pünktlich zur Kirschblütenzeit stieg die Zahl der Neuinfektionen – aus damaliger Sicht – dramatisch an auf bis zu 100 Fälle pro Tag allein in Tōkyō. Die Menschen wurden aufgerufen, auf die übliche Kirschblütenschau zu verzichten und fast alle hielten sich auch wirklich daran.

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Im zweiten Jahr sah es ganz ähnlich aus. Zwar gab es nun erste Impfstoffe, aber die Impfungen hatten in Japan noch nicht begonnen, und man zählte nun fast 500 Neuinfektionen pro Tag in der Hauptstadt. Feste Verhaltensregeln gab es im Großen und Ganzen zwar noch immer nicht, aber viele Kommunen schlossen zum Beispiel die Parks, in denen sonst gefeiert wurde, oder stellten so viele Schilder mit Aufrufen zum Verzicht auf, dass es kaum einer wagte, sich nicht daran zu halten.

Auch ohne Gesetze viel Selbstverantwortung

Doch wie viele Menschen halten sich eigentlich an die Selbstbeschränkung? Intage Inc., ein Meinungsforschungsinstitut, veröffentlichte dazu die Ergebnisse[1] diverser Onlineumfragen, und dabei stellte man fest, dass sich an der Hanami-Situation unter Corona-Bedingungen kaum etwas geändert hat: Rund 30 % der Befragten gaben an, konkrete Pläne für Hanami zu haben, und diese Zahlen waren 2020 und 2021 fast gleich (leider fehlt hier allerdings der Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten, in denen mit hoher Wahrscheinlichkeit mehr Menschen Pläne hatten).

Nicht überraschend gaben drei Viertel dieser 30 % jedoch an, die Kirschblüten irgendwo in der Nachbarschaft bewundern zu wollen und nicht, wie sonst oft üblich, an einem für Kirschblüten berühmten Ort wie zum Beispiel dem Ueno-Park. Der Anteil derer, die für die Kirschblüten etwas weiter rausfahren oder gar übernachten wollen, liegt im einstelligen Bereich. Kirschblüte also ja, aber das Gros der Menschen meidet die Massen.

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Einfluss der Gesellschaft

Im Jahr 2022 fallen die Kirschblüten mit dem am 21. März beschlossenen Ende der speziellen Corona-Maßnahmen zusammen – dementsprechend könnte man etwas mehr Trubel erwarten. Das allerdings nur theoretisch: Es sind nach wie vor nicht die von der Politik erlassenen Maßnahmen (richtiger wäre der Begriff “Richtlinien”, denn Verstöße werden in keiner Weise sanktioniert), die den Corona-Alltag in Japan bestimmen, sondern der gesellschaftliche Konsens, und der besagt, dass das Tragen von Masken und das Vermeiden von Menschenansammlungen noch immer geboten ist.

Ein anderes Meinungsforschungsinstitut verpackt ähnliche Zahlen in etwas optimistischere Schlagzeilen. Das Nihon Trend Research vermeldet: “23,8 % der Menschen, die 2021 nicht am Hanami teilnahmen, wollen dieses Jahr wieder mitmachen[2]”.

Rückkehr zum Alltag 2023?

Alle Umfragen zum Thema Hanami sind mit Vorsicht zu betrachten, denn es gibt keine Definition dessen, was Hanami eigentlich ist. Ein Spaziergang unter Kirschbäumen oder das Zusammensitzen um mitgebrachte Speisen oder Getränke? Die 30 bis 40 % (je nach Umfrage) derer, die Hanami machen wollen, gaben dementsprechend an, diverse Maßnahmen zu ergreifen – zum Beispiel auf das Essen und Trinken zu verzichten, die Blüten nur aus dem Auto zu betrachten oder eben auf den Besuch berühmter Hanami-Spots zu verzichten.

Fazit: Auch 2022 steht die Kirschblütenschau – leider – ganz unter dem Einfluss der Pandemie und eine Rückkehr zur Normalität ist noch weit entfernt. Bleibt das Hoffen, dass beim Hanami im Jahr 2023 die Lage etwas besser wird. Die Situation hat aber auch eine gute Seite: Nur jetzt kann man die berühmten Hanami-Spots mit etwas mehr Ruhe als sonst genießen.

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