Drift-Eis aus Russland – das Ryūhyō von Abashiri
Jeden Winter löst sich an der Mündung des Amur in Russland mächtiges Treibeis, das von Strömungen und Winden über hunderte Kilometer bis an die Küsten Nordost-Hokkaidōs getrieben wird. Von Ende Januar bis März bedeckt es das Ochotskische Meer mit einer weiß-blauen Schicht, die knirscht, bricht und sich unaufhörlich neu formt. In den Städten Abashiri und Monbetsu fahren spezielle Eisbrecher wie die „Aurora“ durch die Schollen. Ein Erlebnis, bei dem man das dumpfe Bersten des Eises unter dem Schiffsrumpf spürt und den Atem in der klaren Winterluft sieht. Abenteuerlustige können noch näher heran: Im dicken Trockentauchanzug wagt man sich beim Wandern über das Packeis, springt ins eisige Wasser und folgt einem Guide auf gefrorenen Schollen. Eine Begegnung mit einer Welt, die sonst eher arktischen Regionen vorbehalten ist.

Frost Flowers am Akan-See – zerbrechliche Eisblüten
Im Osten Hokkaidōs, eingebettet in eine Landschaft aus Vulkanbergen und tiefen Wäldern, liegt der Akan-See. An besonders klaren, windstillen Wintermorgen zwischen Dezember und Februar verwandelt er sich in ein märchenhaftes Wunderland: Tausende zarte Eiskristalle, sogenannte Frost Flowers, wachsen auf seiner gefrorenen Oberfläche. Sie entstehen nur unter strengsten Bedingungen, wenn die Temperaturen unter minus 15 Grad sinken, der See von Schnee befreit ist und kein Lüftchen weht. Dann breiten sich die Kristalle wie ein weißes Blütenmeer über das dunkle Eis aus. Das Schauspiel ist vergänglich. Schon der erste Sonnenstrahl oder ein Hauch von Wind lassen die filigranen Strukturen verschwinden. Wer die Frost Flowers erleben möchte, bricht am besten im Morgengrauen mit erfahrenen Guides auf.

Eisdorf auf dem Shikaribetsu-See – gefrorene Kunstwerke
Hoch in den Bergen des Daisetsuzan-Nationalparks liegt der Shikaribetsu-See, im Winter nur über verschneite Straßen erreichbar. Hier entsteht von Ende Januar bis März das temporäre Eisdorf „Shikaribetsu Kotan“ direkt auf der zugefrorenen Wasserfläche – mit Iglus, einer Eisbar und einem Onsen im Freien. Eingehüllt in warme Dämpfe kann man hier auf den gefrorenen See blicken, während über einem der Winterhimmel in kristallklarem Blau strahlt. Tagsüber wird das Dorf zum Treffpunkt für Familien und Abenteuerlustige: Eisskulpturen-Wettbewerbe, Musikveranstaltungen und kleine Restaurants aus Schnee sorgen für eine fröhliche Stimmung. Abends dagegen verwandelt sich das „Shikaribetsu Kotan“ in eine stille, magische Welt. Das Dorf hat inzwischen eine mehr als 35-jährige Tradition.


Schneegeister in Zaō – Wächter der Berge
An der Grenze der Präfekturen Yamagata und Miyagi verwandeln gefrierende Winde Bäume in bizarr geformte Skulpturen: die juhyō (wörtlich: Baum-Eis). Die Eisschichten wachsen über Wochen zu meterhohen Gestalten, die wie erstarrte Riesen oder Wächter wirken. Vom Skigebiet Zaō Onsen aus führen Lifte mitten hinein in diese stille Armee. Tagsüber leuchten die Schneegeister im Sonnenlicht und werfen lange Schatten über die Hänge. Nachts werden sie in wechselnden Farben angestrahlt. Nebel und Schneefall lassen die Szenerie dann wie eine Kulisse aus einem Fantasy-Film wirken. Wer Glück hat, erlebt einen klaren Sternenhimmel, der sich über das gefrorene Meer aus Formen spannt. Von Ende Januar bis Anfang März erreicht das Phänomen seinen Höhepunkt.


Dieser Artikel erschien in der JAPANDIGEST Oktober 2025-Printausgabe und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.










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