Halloween in Japan: Feste feiern, wie sie fallen

Matthias Reich
Matthias Reich

So viel steht fest: In Japan liebt man einfach Feste. Seien es die traditionellen Matsuri, die im ganzen Land stattfinden, die prächtigen Feuerwerke, deutsche Oktoberfeste (die scheinbar zu jeder Jahreszeit abgehalten werden) oder Weihnachten. Seit etlichen Jahren zählt nun auch Halloween dazu – doch warum eigentlich?

Kürbis-Rikscha
Halloween auf Japanisch: Eine als Kürbis getarnte Rikscha im Stadtteil Shinjuku, Tōkyō, 2018. © iStock / naotoshinkai

Nahezu alle Geschäfte in Japan, die über ein Schaufenster verfügen, verwandeln sich mehrmals im Jahr, und zwar nahezu gleichzeitig: Nach Weihnachten kommt der Valentinstag, dann der Muttertag, dann Vatertag, die Sommerfestivals und schließlich Halloween. Alles wird orangefarben, und den obligatorischen Kürbissen kann man nirgendwo entkommen. Das ist relativ Neue dabei: Zwar war einigen Japanerinnen und Japanern Halloween schon länger ein Begriff, doch so richtig Fuß fasste die ursprünglich keltische Tradition nach einem Umweg über die USA in Japan erst nach 1997, als man in Tokyo Disneyland anfing, Halloween-Paraden zu veranstalten. Seitdem assoziiert man mit Halloween Verkleidungen, ein bisschen Grusel und irgendetwas mit Kürbis. Der Rummel rund um Halloween wird dabei von Jahr zu Jahr immer größer – doch warum ausgerechnet Halloween?

Halloween geht viral

Ein Grund dürfte in der Natur des Festes liegen – die Mischung aus Erntedankfest und spirituellem Hintergrund (nämlich die Rückkehr der verstorbenen Ahnen) ist durchaus etwas, was auch in Japan von hoher Bedeutung ist. Man könnte es fast als ausländische Version des traditionellen Obon-Festes betrachten, wobei dieser Hintergrund natürlich vor allem den Kindern ziemlich egal ist. Ein anderer Grund ist schlichtweg die Gelegenheit, einfach mal aus dem Alltag auszubrechen. Noch immer gibt es zum Beispiel Schulen und Firmen, die ihren Schüler:innen/Angestellten verbieten, sich die Haare zu färben. Viele Arbeitnehmende sehen sich in Sachen Frisur und Outfit sehr, sehr ähnlich. Und so kommt ein Tag Fasching im Leben den Menschen auch mal gelegen.

Ein lukratives Geschäft

Diesen Gedanken kann man weiterführen: So sind in Japan sogenannte 100-Yen-Läden (das Pendant zu den 1-Euro-Läden hierzulande) extrem beliebt, ebenso große Ramschkaufhäuser wie Don Quijote. Dort gibt es sehr viel Halloween-taugliche Dekoration, mit dem die Menschen nach Herzenslust ihre Bastellaune ausleben können. Ebenso wichtig ist der saisonale Faktor: Vor allem in Japan freuen sich viele auf saisonale Spezialitäten – Erdbeeren gibt es rund um Weihnachten, Makrelenhechte Anfang Herbst und so weiter. Und zu Halloween gibt es sehr viel mit Kürbis. Die japanischen Kürbisse sind zwar wesentlich kleiner als ihre monströsen amerikanischen Kollegen, doch sie spielen in der nationalen Küche eine wichtige Rolle.

Den Rest regelt der Markt: Natürlich haben Einzelhandel und Produzenten schon vor langer Zeit den Wert des Halloweens erkannt. Die Japan Anniversary Association – welche “offizielle” Jahrestage ernennt (und ja, die gibt es wirklich) – schätzte 2018 den Marktwert von Weihnachten auf eine Größenordnung von über vier Milliarden Euro, und den von Halloween auf immerhin fast einer Milliarde Euro. Das geborgte Keltenfest ist somit ein kleiner Goldesel, wenn man die Produktpalette richtig darauf einstellt – mit Bäckereien, Konditoreien und Convenience Stores als den Hauptnutznießern.

Halloween in Shibuya 2018
Halloween in Shibuya, 2018: Abertausende Feiernde drängen auf die Straßen und Einkaufsmeilen im Tōkyōter Stadtteil Shibuya. © iStock / CHENG FENG CHANG

Wie Japan Halloween feiert 

Doch was geschieht eigentlich zu Halloween? Einerseits gibt es das Halloween der Kinder. Örtliche Nachbarschaften sprechen sich dazu gern ab und lassen dann die Kinder verkleidet um die Häuser ziehen, um “Süßes oder Saures” zu fordern. Da alles gut im Voraus geklärt wird, gibt es natürlich nur das Erstere. Man passt freilich auf, dass die kleinen Gespenster nicht an einer falschen Haustür klopfen. Diese Halloween-Umzüge sind meistens herzallerliebst und werden von fast allen gemocht.

Etwas ambivalenter betrachtet man jedoch das Halloween der Jugend – vor allem das Hauptereignis in Shibuya, denn dort treffen sich seit einigen Jahren im Rahmen des “Shibuhallo” (kurz für Shibuya Halloween) mehr und mehr hauptsächlich jugendliche Partywütige, wobei nicht wenige extra aus Südkorea oder gar China anreisen. Hunderttausende Menschen versammeln sich dann der Gegend rund um das berühmte Modekaufhaus 109, und wie es nun mal so ist, wenn sich so viele Menschen an einem Ort begegnen, geschehen auch unschöne Dinge. Der Alkoholkonsum mancher Teilnehmenden sorgt dafür, dass man auch aggressivere Töne hört.

Nicht nur Feierspaß

Die Geschäfte in Shibuya haben von dem ganzen Trubel jedoch so gut wie gar nichts, denn die meisten bringen einfach ihre eigenen Getränke mit, kehren nirgendwo ein und verlassen das Stadtviertel wieder – und lassen dabei ihren Müll zurück. Das geht so weit, dass viele Leute, die sonst nach Shibuya fahren würden, an den zwei, drei letzten Tagen im Oktober den Ort ganz meiden. Das hat der Bürgermeister des Bezirks auch erkannt, weshalb er in diesem Jahr ganz offen aussprach, was viele örtliche Geschäftsinhaber:innen schon lange denken: “Liebe Halloween-Freunde: Bleibt zu Hause. Kommt bloß nicht nach Shibuya!”. 

Der Aufruf wird nicht viel helfen, weshalb vorsichtshalber ein Alkoholverbot rund um den Bahnhof ausgesprochen wird. Doch man kann nur hoffen, dass nicht irgendwann etwas Schlimmes passiert, denn so große Menschenmassen ziehen vielleicht auch Amokläufer an. Wer dem Rummel nichts abgewinnen kann – der Großteil der Einheimischen begnügt sich zu Halloween einfach einer kleinen, süßen Spezialität. Hauptsache, irgendwas mit Kürbis.

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