Rechtsruck in Japan: Konservatismus & Nationalismus

Isabelle Kullat
Isabelle Kullat

Nach Ishibas historischem Regierungsdebakel bei der Juli-Wahl rücken innenpolitische Debatten in Japan ins Zentrum. Die Regierungskoalition verlor erstmals seit Jahrzehnten ihre Parlamentsmehrheit, und nationale Strömungen wie die rechtspopulistische Sanseitō gewinnen an Bedeutung.

Kamiya Sōhei, Parteichef der rechtsnationalen Sanseitō, bei einem Interview in Tōkyō am 20 Juli 2025. © Associated Press / Alamy Stock Photo

Bei der Oberhauswahl am 20. Juli 2025 sicherte sich die Koalition von Premier Ishiba (LDP + Kōmeitō) nur 47 der 125 zur Abstimmung stehenden Sitze – anstatt der benötigten 50 Sitze für eine Mehrheit. Damit verlor die seit 1955 nahezu durchgängig regierende LDP ihre Kontrolle über beide Parlamentskammern. Diese historische Niederlage war für viele Beobachter die Folge wachsender Wählerunzufriedenheit mit Inflation, sinkenden Reallöhnen und einer Einwanderungspolitik, die in rechtskonservativen Kreisen als nicht streng genug wahrgenommen wird, obwohl Japan im internationalen Vergleich ohnehin bereits sehr restriktiv vorgeht. Die Regierungskoalition verlor bereits im Herbst 2024 die absolute Mehrheit im Unterhaus. Für Ishibas Koalition bedeutete dies, dass sie fortan auf Absprachen mit Oppositionsparteien angewiesen ist, um Gesetze durchzubringen.

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Reaktion von Premierminister Ishiba

Trotz der Wahlschlappe betonte Ishiba, er werde im Amt bleiben, um wichtige Aufgaben abzuschließen und sagte: „Ich will meiner Verantwortung nachkommen und kein politisches Vakuum entstehen lassen“.1 Ishiba kündigte ein zusätzliches Konjunkturpaket an, um die heimische Wirtschaft abzufedern und die verhandelten US-Zölle (15 % ab 1. August) zu bewältigen. Gleichzeitig wächst aber der Druck innerhalb der LDP. Manche LDP-Abgeordnete fordern Ishibas Rücktritt. Ein Flügel des Parteiestablishments kritisiert, Ishiba sei „nicht konservativ genug“ gewesen und habe die Unzufriedenheit der Basis unterschätzt.

Kamiya Sōhei 神谷宗幣 – Populist & YouTuber

 

Zentralfigur des neuen Rechtspopulismus ist der Sanseitō-Chef Kamiya Sōhei (geb. 1977). Kamiya war früher Geschichts- sowie Englischlehrer und diente zehn Jahre als Reservist in der japanischen Bodenselbstverteidigungsstreitkraft, bevor er 2020 die Partei Sanseitō 参政党 gründete. Er inszenierte sich als „Mini-Trump“: Wie der US-Präsident setzt er auf einfache Feindbilder, Anti-Establishment-Rhetorik und „Japan First“. Seine Kampagne machte Ausländer und „Globalismus“ für Japans Alltagsprobleme verantwortlich. Beispielsweise warnt Kamiya vor einer „stillen Invasion“ durch ausländische Investoren und Migranten (ca. 3 % der Bevölkerung). Als Lösung verlangt er etwa eine härtere Kontrolle von Landkäufen durch Ausländer und kürzere Sozialleistungen für Nicht-Japaner.

Kamiya versteht es, junge Wähler über digitale Medien zu erreichen. Seine Sanseitō-YouTube-Kanäle zählen inzwischen fast 500.000 Abonnenten – dreimal so viele wie die des LDP. In den Online-Videos und großen Kampagnenveranstaltungen spricht Kamiya Wut und Unzufriedenheit an: Er wettert gegen „korrupte Eliten“ und „globalistische Unterwanderung“, ruft zu Stolz und japanischem Nationalismus auf und vergleicht sich selbst ausdrücklich mit Trump. Zudem nennt er offen rechtspopulistische Parteien in Europa (AfD, RN, Reform UK) als Vorbilder. Am 5. August 2025 empfing Kamiya den AfD-Vorsitzenden Tino Chrupalla in seinem Büro im japanischen Nationalparlament in Tōkyō.

Seit 1936 tagt Japans Parlament im Kokkai-gijidō im Tōkyōter Regierungsviertel Nagatachō. Zunächst war es Sitz des Reichstags. Seit der Nachkriegsverfassung von 1947 beherbergt das Gebäude die beiden Kammern des heutigen Nationalparlaments: das Shūgiin (Unterhaus) und das Sangiin (Oberhaus). © iStock.com / w-stock

Die neue Rechte und Protest gegen die „Silberdemokratie“

Neben Sanseitō profitierte von der Unzufriedenheit junger Wähler auch die rechtskonservative Demokratische Partei für das Volk (DPP). Unter Vorsitz von Tamaki Yuichirō gewann die DPP 17 Sitze hinzu (jetzt insgesamt 22 im Oberhaus). Sie präsentiert sich betont wirtschaftsliberal und fordert – ähnlich wie Sanseitō – erhebliche Steuerentlastungen und Lohnerhöhungen. In TV-Auftritten erklärte Tamaki etwa, er wolle vor allem die Nettolöhne der Bevölkerung steigern. Politologen sehen hierin ein gemeinsames Muster: Beide Parteien sprechen gezielt jüngere, arbeitende Generationen an, die das Gefühl haben, in Japans „Silberdemokratie“ keine Zukunft zu haben. Als politisches Schlagwort prägt der Ausdruck „Silberdemokratie“ das Gefühl vieler Jugendlicher, von einem von Senioren dominierten Politikbetrieb abgehängt zu werden. Das zeigt sich auch in den Wählerprofilen: Die Sanseitō spricht laut Umfragen vor allem junge Männer an, während die traditionelle LDP Unterstützung vor allem unter älteren Wählern behält. Insgesamt markiert die Wahl einen gesellschaftlichen Schnittpunkt aus Wirtschaftsnöten, Identitätsfragen und digitaler Mobilisierung, der Japans politisches System deutlich verändert. 

Tourismusboom trifft sinkende Kaufkraft

Ein weiterer brisanter Aspekt ist das Nebeneinander von Tourismusboom und steigenden Lebenshaltungskosten. Der Yen notiert zurzeit bei etwa 1 EUR = ¥171 – einem historisch tiefen Stand. Dies machte Japan für ausländische Besucher rekordgünstig. Tatsächlich kamen im ersten Halbjahr 2025 über 20 Millionen Touristen nach Japan – so viele wie nie zuvor. Für das Jahr 2025 wird ein neuer Rekord von über 40 Millionen Besuchern erwartet und damit hat sich der japanische Tourismus im letzten Jahrzehnt fast verdoppelt (2015 knapp 20 Millionen). Die hohe Nachfrage und die schwache Währung treiben Preise in beliebten Gegenden wie Kyōto oder Tōkyō, während viele Einheimische sich die hohen Kosten kaum noch leisten können. Gleichzeitig liegt die Inflationsrate im Jahr 2025 bei rund 3,5%, während die Nominallöhne nur um etwa 2–2,5 % wachsen. Die Reallöhne sind bereits seit Monaten im Sinkflug. Gerade Haushalte mit niedrigem Einkommen (Familien, Rentner) spüren die Belastung am stärksten. Rechtspopulisten greifen diese soziale Schere gezielt auf. Sie warnen etwa davor, Japan verliere seine „Souveränität“, weil Ausländer Land oder Wohnungen aufkauften und sogar ländliche Dörfer für Ferienresidenzen nutzten. Der erzielte Slogan lautet meist: Während Japaner sparen müssten, lebten Ausländer hier „wie Könige“. Politiker wie Kamiya behaupten, dies unterlaufe Japans Harmonie und Kultur.

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