Nach weniger als einem Jahr im Amt ist seine Zeit an der Spitze Japans bereits wieder vorbei. Der Verlust der Parlamentsmehrheit in Unter- und Oberhaus und der wachsende Druck aus den eigenen Reihen der Liberaldemokratischen Partei (LDP) ließen ihm keine Wahl mehr. Für viele Beobachter wirkt dies dramatisch, doch die japanische Geschichte zeigt: Kurzzeit-Premiers sind kein unbekanntes Phänomen.
Kurzzeit-Premiers sind kein Novum in Japan
Japanische Politik kennt ein Phänomen, das in westlichen Demokratien seltener vorkommt: Premiers, die nach wenigen Monaten oder wenigen Jahren zurücktreten.
- Fukuda Yasuo regierte von September 2007 bis September 2008 – ebenfalls etwa ein Jahr – und trat zurück, nachdem er auf Widerstand in der eigenen Partei gestoßen war und das Parlament blockiert wurde.
- Abe Shinzō’s erste Amtszeit (2006–2007) dauerte nur ein Jahr, sein Rücktritt war auf gesundheitliche Probleme und interne Uneinigkeit zurückzuführen.
- Andere Premiers wie Miki Takeo oder Takeshita Noboru mussten ebenfalls gehen, weil interne Skandale, Wahlniederlagen oder Parteidruck ihre Amtsführung erschwerten.
In dieser Tradition steht Ishibas Rücktritt. Ein Premier ohne Rückhalt in der Partei und mit verlorenem Vertrauen der WählerInnen ist selten in der Lage, seine Agenda durchzusetzen. Dennoch ist Ishibas Fall in einem entscheidenden Punkt besonders: Zum ersten Mal seit ihrer Gründung im Jahr 1955 steht die Liberaldemokratische Partei Japans vor einer Situation, die in der Nachkriegsgeschichte beispiellos ist. Nach der Juli-Wahl 2025 verfügt sie weder im Unterhaus noch im Oberhaus über die absolute Mehrheit. Bisher konnte die LDP kleine Rückschläge in einer Kammer immer durch Kontrolle der anderen ausgleichen und so ihre politische Dominanz weitgehend aufrechterhalten. Die gleichzeitige Niederlage in beiden Kammern bedeutet nicht nur einen dramatischen Machtverlust, sondern zwingt die Partei, Gesetze künftig über Verhandlungen mit Oppositionsparteien oder kleineren Koalitionspartnern durchzubringen. In diesem Licht erscheint Ishibas Rücktritt nicht nur als persönlicher Schritt, sondern als Symptom einer historischen Zäsur für die bisher fast unangefochtene Regierungspartei Japans. Nur einmal, von 1993 bis 1994, musste sie die Kontrolle vollständig an eine breite Oppositionskoalition abgeben. Auslöser waren Korruptionsskandale und innerparteiliche Spaltungen, die dazu führten, dass mehrere Abgeordnete austraten und sich mit kleineren Oppositionsparteien wie der Japanische Erneuerungspartei, die Japanische Neue Partei und die Japanische Sozialistische Partei zusammentaten. Unter dem 79. Premier Hosokawa Morihiro entstand eine kurzlebige, aber historische Regierung, die knapp ein Jahr hielt, bevor die LDP ihre Dominanz zurückerlangte.
Ishiba geht und öffnet den Raum für neue Kräfte
Anders als bei Fukuda oder Abe ist Ishibas Rücktritt nicht auf persönliche Probleme oder Skandale zurückzuführen, sondern allein auf die Kombination aus Wahlniederlage und innerparteilichem Druck. Dies signalisiert eine neue Instabilität innerhalb der LDP und öffnet den Raum für kleinere Parteien wie Sanseitō, die von der Unzufriedenheit der WählerInnen profitieren. Historisch betrachtet sind solche Übergänge oft Momente, in denen die japanische Politik gezwungen ist, auf neue Themen und Generationen zu reagieren. Die wachsende Bedeutung junger WählerInnen, die sich von traditionellen Eliten abgehängt fühlen, und die Zunahme populistischer Strömungen könnten langfristig die politische Landschaft verändern. Die LDP steht vor der Herausforderung, sich neu zu definieren und das Vertrauen zurückzugewinnen. Erste potenzielle Nachfolger haben sich bereits positioniert. Dazu gehören die konservative Takaichi Sanae, ehemalige Ministerin und Befürworterin einer Revision der Nachkriegsverfassung, Koizumi Shinjiro, aufstrebender Landwirtschaftsminister und Sohn des früheren Premiers Koizumi Junichirō, sowie Motegi Toshimitsu, erfahrener Außenminister und derzeitiger Generalsekretär der LDP. Auch Hayashi Yoshimasa wird als möglicher Kandidat gehandelt, bekannt für seine außenpolitische Erfahrung und pro-amerikanische Haltung. Die Wahl des neuen Parteivorsitzenden, die traditionell auch den Premierposten bestimmt, soll voraussichtlich am 4. Oktober 2025 stattfinden und wird entscheidend dafür sein, wie die LDP auf die historischen Wahlniederlagen reagiert und welche Richtung Japans Politik künftig einschlagen wird.
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