Im Jahr 2024 wurde die Nihon Hidankyō mit dem Friedensnobelpreis für ihre langjährige Arbeit zur Abschaffung von Nuklearwaffen ausgezeichnet. Sie gibt den Überlebenden der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki 1945 sowie ihren Nachfahren eine Stimme, die Vergangenheit und Zukunft verbinden soll. 80 Jahre nach den Abwürfen sprechen wir mit Mimaki Toshiyuki, amtierender Co-Vorsitzender der Nihon Hidankyō, über seinen Wunsch nach einer atomfreien Welt.

JAPANDIGEST: Welche Erinnerungen an Hiroshima haben für Sie eine persönliche Bedeutung?
Mimaki Toshiyuki: Die Erinnerungen an meine frühe Kindheit, als wir im März vor den schweren Luftangriffen aus Tōkyō nach Hiroshima – der Heimat meines Vaters – fliehen mussten, werde ich niemals vergessen. Für eine Weile schien es, als ob wir dort in ein ruhiges und friedliches Leben zurückgekehrt wären.
Wo waren Sie am Tag des Atombombenabwurfs?
Ich habe vor unserem Haus gespielt. Ich schaute nach unten und sah ein grelles Licht. Ich hielt es für einen Blitz.
Was ist Ihnen von damals im Gedächtnis geblieben?
Ich wusste an dem Tag nicht, welch schwere Katastrophe sich in Hiroshima ereignet hatte, da unser Haus 17 km vom Hypozentrum entfernt stand. Aber ein Nachbar sprach über die Ereignisse. Mein Vater arbeitete zum Zeitpunkt des Abwurfs in der Stadt und kam abends nicht nach Hause. Am nächsten Tag machte sich meine Mutter auf die Suche nach ihm, mit meinem jüngeren Bruder auf dem Rücken und mich bei der Hand. Als wir die Innenstadt erreichten, wurden wir mit den Folgen der Atombombe konfrontiert.
Haben Sie danach jemals mit Ihren Eltern über die Ereignisse gesprochen?
Jedes Jahr am 6. August erzählte mir meine Mutter über die damalige Zeit, während sie auf den Fernseher starrte.
Mimaki Toshiyuki
Geboren 1942 in Tōkyō, erlebte er während des Zweiten Weltkrieges die schweren Luftangriffe auf die Hauptstadt im März 1945. In Folge der Zerstörung flüchtete die Familie nach Hiroshima. Nur wenige Monate später überlebte der damals dreijährige Mimaki den Atombombenabwurf auf die Stadt. Nach seiner Schulzeit arbeitete er in einer Gießerei und war ab dem 57. Lebensjahr für 14 Jahre als Stadtrat und in anderen öffentlichen Ämtern tätig. Seit 2005 engagiert sich der heute 83-Jährige als Zeitzeuge des Atombombenangriffs und trägt seit 2022 als Co-Vorsitzender der Nihon Hidankyō maßgeblich zur Aufarbeitung und Bewusstseinsbildung bei.

Immer mehr Länder setzen auf Atomwaffen zur Verteidigung oder drücken den Wunsch aus, sie zu besitzen. Was sagen Sie jenen Menschen, die behaupten, dass Atomwaffen notwendig seien?
Die Atommächte erklären, die Welt sei dank der Atomwaffen sicher. Das ist ein großer Trugschluss. Sollte in einem Atomstaat etwa versehentlich eine der Waffen detonieren, werden ja nicht nur das eigene Land, sondern auch die Nachbarländer nuklear getroffen. Die Betroffenen werden lebenslange Strahlenschäden, seelische Qualen und Diskriminierung erleiden. Es ist absolut unmöglich, ein Land oder Menschenleben mit Atomwaffen zu schützen.
Gibt es etwas, das Ihrer Meinung nach einen großen Einfluss auf Menschen hat, die sich noch nie Gedanken zum Thema Atomwaffen gemacht haben?
Das Hiroshima Peace Memorial Museum. Gerade in den letzten Jahren besuchten sehr viele Ausländer:innen das Museum. Manche weinen sogar, wenn sie die ausgestellten Fotos verstorbener Kinder oder verbrannter Kleidung betrachten. Sie sehen die Schrecken der Atombombe mit eigenen Augen und können sie begreifen. Die Ereignisse von Hiroshima und Nagasaki vor 80 Jahren sind keine „alten Geschichten“.
Die weitere Nutzung von Atomenergie wird auch international diskutiert.
Als Kind wurde mir beigebracht, dass Kernenergie dazu genutzt wird, um Frieden zu schaffen – aber das war eine falsche Lehre. Heute herrscht die Stimmung, dass Atomwaffen bei einer drohenden Niederlage im Krieg genutzt werden sollten. Das Wichtigste, was die Weltpolitik tun müsste, ist, über Maßnahmen nachzudenken, die sicherstellen, dass die Menschheit geschützt wird.

Wie steht die junge Generation in Japan zu den Ereignissen vom 6. August 1945? Zeigen Sie wenig Interesse oder ist das Bewusstsein eher gewachsen?
In Schulen in Hiroshima und Nagasaki wird der Krieg, einschließlich der Atombombenabwürfe, standardmäßig unterrichtet, damit sie nicht in Vergessenheit geraten. Die ältere Generation möchte nie wieder einen Krieg erleben. Aber 80 Jahre später sprechen einige junge Menschen leichtfertig davon, dass sie in einem kommenden Krieg kämpfen würden. Viele von ihnen glauben tatsächlich, dass Kriege nur in anderen Ländern passieren.
Was möchte die Nihon Hidankyō an Japan und die Welt appellieren?
Gerade das von den Atombomben zerstörte Japan sollte eine Führungsrolle bei den Bemühungen um die Abschaffung von Atomwaffen und die Verwirklichung eines dauerhaften Friedens in der Welt einnehmen. Das Land sollte auch wirtschaftliche Hilfe für das Wohlergehen der Menschheit leisten. Krieg darf niemals geführt werden.

2025 jähren sich die Atombombenabwürfe zum 80. Mal. Was erwarten Sie, was die Verleihung des Friedensnobelpreises an die Nihon Hidankyō für Japan bedeuten wird?
Die Überlebenden der Abwürfe sind heute alle betagt. Mit ihren Worten können sie zwar noch kämpfen, aber sie sind nicht mehr in der Lage aktiv zu intervenieren. Aktuell bekommen wir viel nationale und internationale Aufmerksamkeit. Es heißt sogar, dass dieses Ereignis in Schulbücher aufgenommen werden soll. In 10 Jahren werden wir aber nicht mehr hier sein. Bis dahin muss die junge Generation die Realität der Atomwaffen verstehen, und ich hoffe, dass wir dazu beitragen können.
Was ist Ihre Vision für die Zukunft? Was muss passieren, um eine Welt ohne Atomwaffen zu erreichen?
Ich möchte an die Akteure der Weltpolitik appellieren, sich zu verpflichten, keine Atomwaffen einzusetzen, auch wenn sie grundsätzlich eine andere persönliche Meinung vertreten. Diese Grundlage muss geschaffen werden, um die Sicherheit unseres Planeten und die der Menschheit zu gewährleisten.

Dieser Artikel erschien in der JAPANDIGEST April 2025-Printausgabe und wurde für die Veröffentlichung auf der Website nachbearbeitet.
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