Mein Leben als JET: Franzi in Tokushima

von Franziska Neugebauer
Franzi (ganz links im Bild), JET in Tokushima, begrüßt eine Sportdelegation am Flughafen. © Franziska Neugebauer

Franzi lebt und arbeitet in der örtlichen Präfekturverwaltung von Tokushima im Referat für Sportangelegenheiten. Mit JAPANDIGEST teilt sie ihre Faszination für die wunderschöne Natur und einzigartige Kultur der ländlichen Region Tokushima.

Bei einer Bewerbung für das JET Programm (The Japan Exchange and Teaching Programme), weiß man zunächst nicht, in welcher Region Japans man am Ende arbeiten wird. Es besteht allerdings die Möglichkeit, Wünsche zu äußern. Bei mir stand „Tokushima“ ganz oben auf der Wunschliste. Warum? Dafür gibt es mehrere Gründe: Zum einen hatte ich es trotz vorheriger langjähriger Aufenthalte in Japan während meines Austauschstudiums an der Universität Kōbe und der Universität Mie nie bis auf Japans viertgrößte Insel Shikoku geschafft. Zum anderen wollte ich schon immer einmal die Meeresstrudel von Naruto sehen, ein Phänomen der Gezeiten, das ich mittlerweile im Rahmen meiner Arbeit bestimmt 20 Mal mit Besuchern aus Deutschland genießen durfte. Doch der Hauptgrund für meinen Wunsch nach Tokushima zu gehen und dort als Koordinatorin für internationale Beziehungen (CIR) zu arbeiten, war eindeutig die Existenz des Deutschen Hauses in Naruto.

Das Deutsche Haus Naruto stellt die Zeugnisse der historischen Verbindung zwischen Deutschland und Tokushima aus. © Franziska Neugebauer

Historischer Austausch zwischen Tokushima und Deutschland

Warum existiert eine Institution wie das Deutsche Haus in der 58.543-Einwohnerstadt Naruto (Stand Januar 2018)? Zur Beantwortung dieser Frage muss man beinahe 100 Jahre in der Geschichte zurückgehen. 1917 kamen rund 1.000 Deutsche als Kriegsgefangene in das Lager Bandō (Bandō Furyoshūyōjo 坂東俘虜収容所) in Tokushima. Sie waren zuvor im deutschen Pachtgebiet mit dem Stützpunkt Tsingtau stationiert, bevor sie vor der japanischen Armee kapitulieren mussten. Der Leiter des Lagers Bandō Matsue Tomohisa galt als äußerst human und behandelte die im Lager internierten Deutschen mit Respekt und Achtung. Den Kriegsgefangenen waren zum Beispel allerlei Aktivitäten erlaubt. Sie gründeten Musik- und Theatergruppen und organisierten sich in Sportvereinen, wobei Tennis und Fußball mit zu den beliebtesten Sportarten zählten. Es gab sogar eine eigene Lagerzeitung, die in regelmäßigen Abständen unter dem passenden Namen „Die Baracke“ herausgegeben wurde. Nicht alle Gefangenen waren Berufssoldaten, sondern gingen vor ihrer Rekrutierung für das Militär anderen Berufen nach. Davon profitierte das Lager enorm, denn es gab unter anderem Bäcker, Tischler, Metzger, Schuster, Maler oder Friseure, die auch im Lager ihrem Handwerk nachgehen und sich durch den Verkauf von Waren oder Dienstleistungen beschäftigten konnten. Dabei erfolgte der Handel nicht nur in Bandō selbst, sondern auch mit der lokalen Bevölkerung, der kontrolliert Zugang zum Lager gewährt wurde. In Tokushima gilt diese historische Tatsache als Beginn des interkulturellen Austausches zwischen der Präfektur und Deutschland. Deutsche lernten von Japanern, Japaner gingen bei Deutschen in die Lehre.

Nach dem Ende des Krieges und der Auflösung des Lagers 1920 kehrten viele, jedoch nicht alle Gefangenen nach Deutschland zurück und nahmen die Erinnerung an das Lager mit in die Heimat. In den 1960er Jahren entdeckte die in Naruto ansässige Takahashi Harue durch Zufall beim Brennholzsammeln die Überreste eines Gedenksteins für die im Lager Bandō verstorbenen Kameraden und die Japanerin begann den Gedenkstein zu pflegen. Diese Geste erlangte Bekanntheit und gab den Anstoß für eine Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen Tokushima und Deutschland. 1972 wurde das Deutsche Haus Naruto als Museum gegründet und 1974 eine Städtepartnerschaft zwischen Naruto und der Hansestadt Lüneburg geschlossen. Mit dem Abschluss der Partnerschaft zwischen dem Bundesland Niedersachsen und der Präfektur Tokushima 2007 erreichte der freundschaftliche Austausch einen neuen Höhepunkt. Bei einer derart langen Tradition des Austausches muss es doch viele spannende und etablierte Projekte mit Deutschland geben, dachte ich mir also bei meiner Bewerbung. Und Recht sollte ich behalten!

Ich als CIR in Tokushima

Wer in Tokushima lebt muss auch Awa Odori tanzen können! © Franziska Neugebauer

Als ich im August 2016 nach Tokushima zog und meine Arbeit in der Präfekturverwaltung begann, begrüßte mich die typische unbarmherzige
Sommerhitze Japans. Doch die ersten tollen Erfahrungen ließen nicht lange auf sich warten: ich durfte am berühmten Awa Odori Fest teilnehmen, Delegationen aus Deutschland in Tokushima herumführen und dadurch gleichermaßen meine neue Heimat entdecken.

Tokushima tanzt: Awa OdoriDie japanische Präfektur Tokushima hieß bis 1868 Awa. Doch dieser Name gerät nicht in Vergessenheit, denn bis heute wird in Tokushima Awa Od...15.08.2017

Da ich Projekte aus allen Themenbereichen wie Sport, Umwelt, Wissenschaft, Kultur oder Bildung betreue, wird es nie langweilig. Als gebürtige Brandenburgerin genieße ich insbesondere die vielfältige Natur in Tokushima. Berge, Meer, Wasserläufe – ein Paradies für Naturliebhaber, genau richtig für mich! Es kommt vor, dass ich in einem Motorboot neben deutschen und japanischen Kanuten herfahre, um die Anweisungen des Trainers zu dolmetschen oder auf dem Maschsee in Hannover beim Drachenbootfahren meine japanische Delegation anfeuere. Auch nach über anderthalb Jahren in Tokushima als CIR überrascht mich die Gastfreundschaft der Einheimischen und die Vielfalt meines Jobs immer wieder. Tokushima ist mir ans Herz gewachsen und natürlich möchte ich Euch diesen wunderbaren Fleck Erde nicht vorenthalten. Freut Euch auf weitere Artikel, die Einblick in die Kultur und Natur Tokushimas geben.

Franzi bei der Arbeit – Drachenbootfahren auf dem Maschsee in Hannover. © Franziska Neugebauer
Franzi genießt in ihrer Freizeit die vielfältige Natur Tokushimas – hier beim Wandern auf dem Berg Tsurugi. © Franziska Neugebauer
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