Kaiser Naruhito: Ein Tennō der heutigen Zeit

von Constanze Thede
Tennō Naruhito bei der 200. Außerordentlichen Parlamentssitzung im japanischen Unterhaus. Tōkyō, 04.10.2019 © dpa picture alliance / Alamy Stock Photo

Am 1. Mai 2019 löste Tennō Naruhito seinen Vater Akihito als Kaiser ab und bestieg den Chrysanthementhron. Was für ein Mensch ist der aktuelle Tennō und welche Schwerpunkte setzt er für die Ära Reiwa?

Tennō Naruhito, der 126. Kaiser Japans, wurde am 23. Februar 1960 als Sohn des emiritierten Kaisers Akihito und dessen Frau Michiko geboren. Sein vollständiger Name lautet Hiro-no-miya Naruhito, wobei Hiro-no-miya (浩宮) soviel wie “weitreichender Himmel” bedeutet und Naruhito (徳仁) “Jemand der Klugheit, Klarheit, Weisheit und Verstehen durch himmlische Tugend erlangt”. Beide Namen sind von demselben konfuzianistischen Werk abgeleitet, wie es in der kaiserlichen Familie Tradition ist.

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Eine neue Freiheit

Im Gegensatz zum ehemaligen Kaiser Akihito wuchs der junge Naruhito zusammen mit seinen beiden jüngeren Geschwistern im Haus seiner Eltern auf. Sein Vater, der von höfischen Beamten großgezogen worden war, bemängelte später, dass es ihm in seiner Kindheit an Wärme und Menschlichkeit gefehlt habe, daher war es ihm wichtig, dies bei seinen Kindern anders zu machen. Da er als Thronfolger allerdings viele Verpflichtungen hatte, fielen die Erziehungsaufgaben seiner Frau Michiko zu.

Es heißt, der kleine Naruhito habe eine relativ unbeschwerte Kindheit und Jugend gehabt, während derer er vielfältigen Hobbies und Freizeitaktivitäten wie Bergsteigen, Reiten und Geigespielen nachgehen sowie mit anderen Kindern spielen konnte. Außerdem durfte er mit 14 Jahren eine Zeitlang bei einer Gastfamilie in Melbourne (Australien) wohnen, wo sein Vater auf einer Reise angenehme Erlebnisse gehabt hatte und seinen Sohn daher zu dem Aufenthalt ermutigte.

Nach seinem Bachelorstudium im Fach Geschichte an der Tōkyōter Gakushūin-Universität, die Mitglieder der kaiserlichen Familie traditionell besuchen, ging er erneut ins Ausland, diesmal zu einem zweijährigen Studium am Merton College der Universität Oxford. Zurück in Japan absolvierte er seinen Master wiederum an der Gakushūin-Universität.

Heirat gegen viele Widerstände

Während eines Empfangs für die spanische Prinzessin Elena im Palast Akasaka im Oktober 1986 lernte der damalige Kronprinz Naruhito die Diplomatin Owada Masako kennen. Diese hatte in Harvard und an der renommierten Universität Tōkyō studiert und trat 1987 eine Stelle im japanischen Außenministerium an, weshalb ihre Eltern zunächst gegen eine Heirat waren. Auch vom Kaiserlichen Hofamt und anderen Seiten wurden Zweifel hinsichtlich einer Verbindung geäußert, u. a. weil Owada als zu “selbstbewusst für eine Gemahlin des Kronprinzen” wahrgenommen wurde, aber auch weil ihr Großvater verdächtigt wurde, in einen der größten Chemie-Skandale Japans verwickelt zu sein, was sich später als falsch herausstellte.

Owada begab sich damals zunächst im Auftrag des Außenministeriums nach Oxford, um sich weiterhin ihrer diplomatischen Karriere zu widmen und trat nach ihrer Rückkehr 1990 eine Stelle in der renommierten Nordamerika-Abteilung an. Der Heirat mit Kronprinz Naruhito stimmte sie schließlich doch zu, nachdem es hieß, sie könne weiterhin diplomatische Aufgaben übernehmen. Nachdem auch Owadas Eltern und das kaiserliche Hofamt nachgegeben hatten, wurde das Paar im Juni 1993 offiziell vermählt.

Kronprinz Naruhito und Kronprinzessin Masako auf ihrer Hochzeitsparade am 9. Juni 1993. © Newscom / Alamy Stock Photo

Der Druck, einen männlichen Thronfolger auf die Welt zu bringen, wurde jedoch bald zur Belastungsprobe. Nach einer Fehlgeburt bekam Prinzessin Masako zwar 2001 endlich Tochter Aiko, doch würde diese nach japanischem Gesetz nicht Kaiserin werden können. Unter den Diskussionen um die Thronfolge und eine mögliche Gesetzesänderung litt Masako psychisch und zog sich eine Zeitlang aus der Öffentlichkeit zurück. Als 2006 der Bruder Naruhitos, Prinz Fumihito, einen Sohn bekam, wurde dieser zum zweiten Thronerben bestimmt.[1] Naruhito stand dabei stets loyal an der Seite seiner Frau und versprach, sie zu beschützen.

Beginn der Ära Reiwa

Nachdem am 30. April 2019 die Heisei-Ära endete und Tennō Akihito aus gesundheitlichen Gründen selbstbestimmt abdanken konnte, bestieg Kronprinz Naruhito mit 59 Jahren den Chrysanthementhron und läutete die neue Ära Reiwa ein. Den volksnahen Stil seines Vaters wollte er fortführen. Ebenso wie dieser steht er der Verharmlosung der japanischen Kriegsvergangenheit sehr kritisch gegenüber. Auch kündigte er bei seiner Thronbesteigung an, sich vermehrt gesamtgesellschaftlich relevanten Themen wie der Wasserversorgung, der Armutsbekämpfung sowie der Versorgung von Kindern und Senioren zu widmen. Insbesondere Wasser ist ein Themenfeld, mit dem sich der neue Tennō Zeit seines Lebens beschäftigte. Er veröffentlichte 2019 das Buch Suiunshi kara sekai no mizu e, eine Kompilation seiner Reden über die Geschichte des Wasserverkehrs, und von 2007 bis 2015 war er Ehrenpräsident des Beraterkreises für Wasser- und Sanitärversorgung der Vereinten Nationen.

Der Beginn einer neuen Ära: Erste Eindrücke von ReiwaAm 1. Mai 2019 wurde Naruhito, der Sohn des emeritierten Tennō Akihito, inthronisiert. Einen Tag zuvor endete die Heisei-Zeit. Am Mittwoch z...02.05.2019

Der Einflussbereich des Tennō in Japan ist allerdings begrenzt. Seit Inkrafttreten der neuen Verfassung nach der Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg gilt er nicht mehr als “göttlich” und nimmt eher eine symbolische Funktion ein. Auch diese ist gerade in Krisenzeiten aber nicht unbedeutend. Die Ära Reiwa wird von der Corona-Pandemie bestimmt, zu Beginn derer Tennō Naruhito viel seltener als sein Vater in der Öffentlichkeit gesehen wurde, was aber wohl auch daran liegt, dass Reisen in dieser Zeit nicht empfohlen werden und viele Veranstaltungen ausfielen.

Dafür bleibt das Kaiserpaar online mit dem Volk in Kontakt und nimmt per Videoschaltung an Events teil, wie am jährlichen Baumpflanzungsfestival in Shimane im Mai 2021, wo der Tennō seinen Respekt und seine Dankbarkeit für diejenigen, die sich im Kampf gegen den Virus engagieren, ausdrückte. Auch die Feierlichkeiten zum Geburtstag des Tennō, an dem die Kaiserliche Familie sich normalerweise auf dem Balkon versammelt, um das Volk zu grüßen, mussten aus Rücksicht auf die Pandemie 2022 ebenso wie in den vergangenen beiden Jahren ausfallen.

Ein Tennō der heutigen Zeit

Für die Deutsche Welle ist Tennō Naruhito zu Recht „der modernste Tenno der Geschichte“, denn er ist der erste japanische Kaiser, der im Ausland studiert und eine berufstätige Frau geheiratet hat. In der Tat zeichnet er sich dadurch aus, dass er sowohl ein Bewusstsein für die großen Themen der heutigen Zeit wie Klimaschutz, Armutsbekämpfung, demographischer Wandel und natürlich die Corona-Pandemie hat, als auch für die traditionelle japanische Kultur. Dieser Ansicht ist zumindest der japanische Journalist Nishikawa Kei von der Nachrichtenplattform Gendai Business, der prognostiziert, dass die Regentschaft des Kaiserpaares unter den drei Zeichen „internationale Ausrichtung“, „universelle Werte“ und „traditionelle Kultur“ stehen wird.

Tennō Naruhito pflegte bereits als Kronprinz intensiv den internationalen Austausch und bereiste seit seiner Heirat 62 Länder. Da die Pandemie die globalen Beziehungen stark eingeschränkt hat, wird sich noch herausstellen, wie das Kaiserpaar seine interkulturellen Kompetenzen in Zukunft nutzen wird. Der emeritierte Tennō Akihito vertrat oft andere Ansichten als die politischen Machthaber und wurde häufig als Korrektiv der nationalkonservativen Regierungspartei LDP wahrgenommen. Ob sein Sohn mehr als nur eine leise, mahnende Gegenstimme sein wird, bleibt abzuwarten.

An Beliebtheit beim Volk mangelt es dem aktuellen Kaiserpaar jedenfalls nicht, zumal die Familie des Tennō, im Vergleich zu der seines Brudes, Prinz Fumihito, die immer wieder für gesellschaftliche Kontroversen sorgt, ein solides Bild abgibt. Auch Prinzessin Aiko, die im letzten Jahr volljährig wurde und im März 2022 ihre erste Pressekonferenz gab, machte dabei offensichtlich einen guten Eindruck. Dennoch ist es wohl eher unwahrscheinlich, dass sich die Thronfolge noch zu ihren Gunsten ändert, obwohl laut der jüngsten Umfrage der Mainichi Shimbun 70 % der Bevölkerung für eine Kaiserin sind.


Quellen


[1] Sein Vater, Prinz Fumihito, wurde 2020 offiziell zum Ersten Thronerben ernannt.

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