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2 Jahre nach IS-Mord an Journalist: Was tut Japan bei Geiselnahmen?

Hannah Janz
Hannah Janz

Am 1. Februar 2015 erreichte die Schreckensnachricht Japan: Der als Geisel festgehaltene Journalist Gotō Kenji in Syrien war durch Terroristen des Islamischen Staates enthauptet worden. Erstmals starb ein Japaner durch den IS. Was hat die japanische Regierung für Schlüsse gezogen?

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In der Gewalt des Islamischen Staates: Journalist Gotō Kenji und Yukawa Haruna (l.n.r.), in einem Video des IS.

Gotō Kenji, zu diesem Zeitpunkt 47 und tätig als freier Journalist, der sich mit Berichterstattung aus Krisengebieten einen Namen gemacht hatte, war im Winter 2014 nach Syrien gereist, um persönlich über die Freilassung des Japaners Yukawa Haruna zu verhandeln. Dieser war vom Islamischen Staat festgehalten worden, nachdem er sich im Juli 2014 der Freien Syrischen Armee angeschlossen hatte, die im syrischen Bürgerkrieg gegen die Regierungstruppen kämpft.

Wie in den meisten Videos des IS fehlt auch in diesem die eigentliche Tötung. Auf die Ankündigung neben der noch lebenden Geisel folgen Aufnahmen der Leiche. Auch im Falle Gotōs sollen bereits zuvor Videos entstanden sein, vor deren Aufnahme der Geisel versichert wurde, dass sie nicht wirklich getötet würde (eine solche Aufnahme zusammen mit Mitgeisel Yukawa ist im Titelbild dieses Artikels zu sehen). Solche Scheinexekutionen gehören zur Folter-Praxis des IS. Deshalb erschien Goto vor seiner tatsächlichen Ermordung gefasst.

Die Echtheit des Videos und damit Gotōs Ermordung am 30. Januar 2015 wurden zwei Tage darauf durch US-Militär-Experten und anschließend durch die japanische Regierung bestätigt. Wenig später wurde auch Yukawa Harunas Ermordung, die vor Gotōs stattgefunden haben soll, bekannt. Die beiden Morde sorgten in Japan für ein großes Medienecho: Zum ersten Mal waren japanische Staatsbürger der Terrororganisation Islamischer Staat zum Opfer gefallen.

Unmittelbare Reaktionen in Japan

Die japanische Regierung verurteilte die Morde aufs Schärfste. Gleichzeitig gab sie an, nicht auf die Lösegeldforderungen des IS zur Rettung Gotōs eingegangen zu sein – Japan verhandle aus Prinzip nicht mit Terroristen. Der IS hatte 200 Millionen Dollar Lösegeld verlangt, nachdem Premierminister Abe bei seinem Türkei-Besuch Anfang 2015 der Koalition gegen den IS dieselbe Summe an Hilfsgeldern in Aussicht gestellt hatte.

Die sozialen Netzwerke in Japan fanden einen ganz eigenen Umgang mit dem Mord: Als Reaktion designten die User Collagen, die sich über die archaische Ästhetik des Exekutionsvideos lustig machten. Der Hashtag #ISISクソコラグランプリ, übersetzt „Grandprix der hässlichsten ISIS-Collagen“, dominierte eine Weile Twitter.

 

Ziel der Twitter-Kampagne: Den IS und seinenTodespathos lächerlich machen. In dieser Collage versteckt sich eine Referenz auf den Bösewicht Mini Me der Austin Powers-Filmreihe, eine Geheimagenten-Komödie. Auch dieser Bösewicht stellt nicht ernstzunehmende Lösegeldforderungen.

Langfristige Maßnahmen?

Japanische Journalisten kritisieren nachwievor, dass die Regierung falsch auf die Entführung der beiden Männer reagiert habe. Eine Eskalation bis hin zu deren Ermordung hätte vermieden werden können, wenn die Staatsführung mehr Unterstützung gezeigt hätte.

Es sei inakzeptabel, dass die japanische Regierung ihre Staatsangehörigen kritisiere, wenn diese entführt und ermordet würden, anstatt sich um eine Lösung zu bemühen, so Kriegsberichterstatter Tsuneoka Kosuke gegenüber der Japan Times. Keine andere Regierung würde sich ein solches Verhalten erlauben.

Tsuneoka ist muslimischer Konvertit und konnte so mehrfach vor Ort über den Islamischen Staat recherchieren. Unter anderem war er bei der ersten Sitzung des Scharīʿa-Gerichtes anwesend, vor dem Yukawa Haruna angeklagt wurde, als Kämpfer der syrischen Rebellen gegen den IS gekämpft zu haben. Tsuneokas Einschätzung nach hätte dies nicht zwangsläufig zur Tötung Yukawas führen müssen.

Tsuneoka gab verschiedenen japanischen Medien gegenüber an, dass die Exekution hätte verhindert werden können, wenn Premierminister Abe im Januar 2015 der Koalition gegen den IS keine Hilfsgelder angeboten hätte. Erst dieses Angebot habe Japan zum Feindbild des IS werden lassen und so die Geiseln in Lebensgefahr gebracht.

Bruch mit dem Selbstbild Japans im Ausland

In der japanischen Öffentlichkeit wurde dies als der eigentliche Schock der Ermordung wahrgenommen: Nicht nur fielen erstmals japanische Staatsangehörige dem IS zum Opfer – vielmehr war Japan nun auch zum Feind des Terrors geworden. Zuvor hatten sich sogar japanische Kriegsberichterstatter sicherer gefühlt als andere Journalisten, da Japan aufgrund seiner Verfassung kein kriegsfähiges Militär unterhalten darf (lesen Sie hier mehr dazu) und darum auch praktisch nicht auf Kriegsschauplätzen zu finden war.

Die japanischen Behörden verweigerten Tsuneoka im Anschluss die Ausreise nach Syrien, um an der zweiten Gerichtssitzung teilzunehmen. Ihm wurde vorgeworfen, IS-Sympathisant zu sein. Tsuneoka nimmt dies zur Grundlage, um die japanische Regierung in Medienberichten dafür zu kritisieren, Berichterstattung zu unterbinden, die die Regierung in schlechtem Licht darstellen könnte.

Insgesamt wirft Tsuneoka die Frage auf, ob die japanische Regierung genug zum Schutz ihrer Bürger unternimmt.

Unausgeschöpfte Möglichkeiten werfen Frage nach künftiger Handhabung auf

Tatsächlich unternehmen andere Regierungen größere Anstrengungen, um ihre Staatsangehörigen aus der Geiselhaft zu befreien. So kam eine deutsche Journalistin im September 2016 nach einem Jahr Entführung durch den IS frei. Die deutsche Bundesregierung erklärte im Anschluss offiziell, „erleichtert über den guten Ausgang dieses Falles in einer außerordentlich schwierigen Gesamtlage in Syrien“ zu sein.

Kriegsberichterstatter Tsuneoka Kosuke merkte hierzu an, dass das japanische Außenministerium durchaus die Kapazitäten habe, mehr für die japanischen Geiseln zu tun. Beispielsweise könnten Syriens Nachbarstaaten wie die Türkei oder Katar, zu denen Japan gute Beziehungen pflegt, um Unterstützung gebeten werden. Ohne Veranlassung durch den Premierminister, in diesem Fall Abe Shinzō, könnten diese Potentiale aber nicht in die Tat umgesetzt werden. Es bleibt also unklar, wie künftige Entführungsfälle gelöst werden können, ohne die Geiseln zu gefährden und gleichzeitig nicht offiziell in Verhandlung mit den Geiselnehmern zu treten.

Reaktionen von anderer Seite

Japans Verbündetem, den USA, stehen ohne den pazifistischen Aspekt der japanischen Verfassung andere Möglichkeiten zur Verfügung, um mit den Entführern und Terroristen zu verfahren.

Der im Video gezeigte Terrorist, dem die westliche Presse aufgrund seiner britischen Staatsbürgerschaft den Spitznamen Jihadi John gab, und der unter anderem im August 2014 auch den US-Journalisten James Foley enthauptet haben soll, wurde im November 2015 durch eine Drohne des US-Militärs getötet. Der IS bestätigte dies.

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