75 Jahre Pearl Harbor: Ist Versöhnung möglich?

Hannah Janz
Hannah Janz

2016 jährt sich der Angriff der Kaiserlichen Armee Japans auf den US-Stützpunkt Pearl Harbor zum 75. Mal. Die USA und Japan gedenken erstmals gemeinsam der 2400 Opfer. Bleibt die Frage: Wie versöhnt sind die ehemaligen Kriegsfeinde?

Gedenkstätte in Pearl Harbor für das versenkte Schlachtschiff USS Arizona. © U.S. Navy / James E. Foehl

Am 7. Dezember 1941 griff die Kaiserliche Japanische Armee mit mehreren Flugzeugverbänden den wichtigsten Stützpunkt der US-Marine im Pazifik auf Oʻahu, Hawaii, an. Pearl Harbor, wo nach amerikanischen Angaben mehr als 2.400 Menschen starben und die US-Schlachtflotte empfindlich getroffen wurde, gilt bis heute als Symbol der militärischen Demütigung der USA durch Japan und ist tief im kollektiven Gedächtnis beider Länder verankert.

Der Angriff hatte weitreichende Folgen: Am 8. Dezember erklärten die USA Japan den Krieg, und am 11. Dezember erfolgte auch die Kriegserklärung des Deutschen Reiches gegen die USA. Damit hatten sich die Kriegsschauplätze in Europa und Asien zu einem tatsächlichen Weltkrieg vereint.

Hiroshima Pearl Harbor
Symbole eines unerbittlichen Krieges: Links das brennende Schlachtschiff USS Arizona beim Angriff auf Pearl Harbor 1941, rechts der Atompilz über Hiroshima 1945.

Japan verlor diesen – unter anderem wegen der Atombombenabwürfe der USA auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 mit mehr als 200.000 Toten – und wurde bis 1952 durch die USA besetzt. In der Folge entwickelte sich ein starkes Sicherheitsbündnis zwischen beiden Länder. Dass dieses durch die Abhängigkeit Japans von der US-Sicherheitsgarantie nicht gleichberechtigt ist, zeigt sich bisweilen auch heute noch in anderen Bereichen der Freundschaft beider Länder.

Etwas ganz neues nach 75 Jahren: Gemeinsames Gedenken

Wie das Japanische Generalkonsulat auf Honolulu, Hawaii, bekanntgab, halten die USA und Japan am 8. Dezember 2016 gemeinsam eine Gedenkveranstaltung für die Opfer von Pearl Harbor ab (Japan Digest berichtete).

Dies wurde in Zusammenarbeit der japanischen Regierung mit der US Navy organisiert, 80 Gäste sind geladen. Zweck der Gedenkveranstaltung sei es, die seit Kriegsende gewachsene enge Beziehung zwischen den USA und Japan zu untermauern. Auch solle den Opfern des Pazifikkrieges auf beiden Seiten gedacht werden, so der Japanische Konsul auf Honolulu, Higashi Yuri.

Am Tag zuvor werden die offiziellen Feierlichkeiten der US-Navy auf den hawaiianischen Inseln abgehalten. Auf dem mehrtägigen Programm stehen Ansprachen, Kranzniederlegungen und Konzerte.

Pearl Harbor Kranz
Offizielle Kranzniederlegung in Pearl Harbor 2012. © MC2 Kiona Miller / CC2.0

Auf der Webseite zur Veranstaltung wird die gemeinsame Veranstaltung mit Japan nicht erwähnt. Trotz des Aufrufes zum gemeinsamen Gedenken seitens des japanischen Konsuls – und damit der japanischen Regierung – trifft die Freundschaft zwischen beiden Ländern auch 75 Jahre nach Kriegsende immer noch auf Hürden.

Zwar betonen beiden Seite oft die mittlerweile tiefe und gegenseitige Freundschaft. In der Praxis offenbart sich aber häufig ein Kern des Gedenkens, der mit diesen guten Absichten bisher nicht erreicht werden konnte. Beide Seiten scheinen auf ihren jeweiligen Traumata zu beharren – und zementieren so alte Muster, die überhaupt erst zu diesen geführt haben.

So zeigt die Gedenkveranstaltung der US Navy zu Pearl Harbor am 7. Dezember 2016 den Film “Sands of Iwo Jima” – ein Film, dessen Dramatik nicht funktionieren würde, ohne Japan als grausamen Feind zu stilisieren.

Sands of Iwo Jima
Screenshot der US Navy-Webseite zu den 75. Gedenkveranstaltungen 2016. Am Strand von Waikiki wird der Film Sands of Iwo Jima (deutsch: Du warst unser Kamerad) gezeigt. © US Navy / www.pearlharbor75thanniversary.com

“Sands of Iwo Jima” erzählt die Geschichte mehrerer Soldaten unter Führung des bissigen Sergeant Stryker, die im Jahre 1945 an der Eroberung der Insel Iwo Jima im Pazifik beteiligt sind. Auch wenn der Film zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung 1949 durchaus als nicht-tendenziöse Darstellung des Pazifikkrieges gesehen wurde, machte ihn die spätere konservative Haltung seines Hauptdarstellers John Wayne im Nachgang zum patriotistischen „flag movie“ par excellence.

Zum 60. Jahrestag 2001 war noch der Hollywood-Film “Pearl Harbor” entstanden, der vor allem mit inkorrekten Darstellungen der historischen Gegebenheiten auffiel. Auch dort wurden “die Japaner” als unmenschlich dargestellt – unter anderem zeigt der Film, wie japanische Bomber auf Zivilisten feuern.

Iwo Jima
Das Aufstellen der US-Flagge auf Iwo Jima markiert symbolisch den Sieg der USA über Japan im Pazifikkrieg. Auch in Kriegsfilmen kommt dieser Szene stets dramatische Bedeutung zu. © Marion Doss / Flickr

Historische Traumata im kollektiven Gedächtnis – unüberbrückbar?

Das Veteranengedenken macht einen großen Teil des US-amerikanischen Helden-Topos und damit der gesellschaftlichen Verklärung des Militärs aus – und Helden brauchen Feinde, die sie besiegen. Nachwievor ist das Gedenken an Pearl Harbor durch die US Navy also verknüpft mit der Abwertung Japans – trotz des mittlerweile starken Bündnisses zwischen beiden Ländern. So kann die historische Rolle Japans im Zweiten Weltkrieg für aktuelle innenpolitische Zwecke eingesetzt werden – auch wenn die bilaterale Außenpolitik mittlerweile ganz anders aussieht.

Problemstellungen des Gedenkens in Japan

Das japanische Pendant zu Pearl Harbor bilden Hiroshima und Nagasaki. Viele Stimmen bewerten sowohl den Angriff auf den US-Stützpunkt Pearl Harbor als auch die Atombombenabwürfe auf die japanischen Städte 1945 als völkerrechtswidrig.

In Japan wird das Gedenken an Hiroshima und Nagasaki unter konservativen Politikern durchaus verwendet, um Japan als Opfer zu stilisieren. Auf diese Weise müssen sich diese Politiker heute nicht mit den Gräueltaten Japans wie dem Massaker von Nanking 1937 auseinandersetzen: Japan ist im Szenario von Hiroshima und Nagasaki nicht mehr Aggressor, sondern wurde durch die USA unverhältnismäßig angegriffen.

Auch für Japan gilt: Die historische Rolle der USA im Zweiten Weltkrieg wird für aktuelle politische Zwecke eingesetzt – auch wenn die bilaterale Außenpolitik mittlerweile ganz anders aussieht.

Der politisch-diplomatische Umgang mit Pearl Harbor und Hiroshima und Nagasaki ist bis heute delikat und zeigt deutlich auf, wo Japan und die USA noch an ihrer Freundschaft und ihrem Umgang miteinander arbeiten. So lange nationale und persönliche Interesse im Gedenken humanistische überlagern, ist die Aufrechterhaltung eines gewissen Grolls zwar zweckdienlich, verhindert aber, dass Menschen als Menschen zusammentreffen und sich versöhnen.

Nachtrag am 05.12.2016: Obama und Abe gedenken gemeinsam

Obama Abe
Obama empfängt Abe zum offiziellen Staatsbesuch im April 2015. © Chuck Kennedy / White House

Wie der japanische Premier Abe Journalisten gegenüber ankündigte, wird er am 26. und 27. Dezember 2016 mit US-Präsident Obama auf Hawaii der Opfer von Pearl Harbor gedenken (Japan Digest berichtete).

Auch wenn das Treffen Obamas und Abes drei Wochen nach den eigentlichen Gedenkfeierlichkeiten um Pearl Harbor stattfindet, nimmt es als erstes Treffen der Staatsspitzen Japans und der USA zum gemeinsamen Gedenken 75 Jahre nach dem Angriff eine Sonderrolle ein – und könnte ein neues Kapitel der Versöhnung beider Länder aufschlagen.

Abe betonte allerdings vorab, dass er sich mit Obama treffen werde, um der Opfer zu gedenken – und nicht, um eine Entschuldigung seitens Japans für den Überfall zu überbringen.

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